Der Faschismus

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Der Faschismus steckt weiterhin in unseren Körpern, macht euch bloß nichts vor. Ihn auszurotten bedeutet, ein anderer Mensch zu werden.
Johanna Haarer hat zu Zeiten des Nationalsozialismus einen Kindererziehungsratgeber veröffentlicht, der Millionen von Deutsche (auch nach dem Krieg noch, in Ost und West) geprägt hat. Das Kind solle streng erzogen werden, keine emotionale Bindung zu sich und der Mutter aufnehmen, müsse so früh wie möglich an Schmerz und Einsamkeit gewöhnt werden und solle so ganz dem Volkskörper unterworfen werden. Ich weiß, dass die Mutter meiner Mutter kalt und bös war und meine Mutter diese Kälte und Bosheit auch in sich hatte. Gestört von Bindungsangst, Verlustangst und Selbsthass erzog sie mich und hätte ich nicht rechtzeitig den Absprung von meinem hässlichen Elternhaus geschafft, wäre aus mir ein düsterer, emotional verkrüppelter Mensch geworden, entweder wäre ich unterwürfig oder narzisstisch geworden. Glücklicherweise bin ich an die richtigen Lehrer, Freunde, Bücher, Songs und Filme geraten, glücklicherweise habe ich mich (sehr langsam, aber sehr sicher) emanzipiert von der blind übernommenen Ideologie meiner verdammten Erzeuger, glücklicherweise habe ich antifaschistische Instinkte. 
Ich muss nur den Wikipedia-Eintrag über "die deutsche Mutter und ihr erstes Kind" lesen, um mir der Kälte und Verdorbenheit meines Stammbaums gewahr zu werden und ich bin nur einer von Millionen.
Noch heute lebt die Naziideologie fort. Es fand keine allumfassende Aufarbeitung der Hitlerdiktatur statt. Nicht zuletzt im Sportunterricht spürte ich, dass nie ein richtiges deutsches Mädel aus mir werden wird. Ich hab nicht nur beim Weitwurf kläglich versagt. Es schien mir immer so albern, Dinge zu werfen und herumzuturnen und um die Wette im Kreis zu rennen. Scheinbar sollte die körperliche Ertüchtigung militärische Reflexe einüben. Heute würde ich behaupten, dass Sportlehrer in weitaus größeren Maßstäben Kinder systematisch schaden und traumatisieren als pädophile Verwandte. Der Drill ist leider derart erfolgreich, dass noch nie ein Schüler einen Sportlehrer abgestochen hat. Wäre ich über meinen Schatten gesprungen und hätte getan, was meine Selbstachtung verlangt, wäre ich vielleicht nie so anmaßend geworden, Schriftsteller zu sein. Ein bisschen Mut hätte mir ein bescheidenes Leben als Häftling ohne Reue und Utopien ermöglicht.

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Die Angst vor einem Ansteigen der Kriminalität ist so therapiebedürftig. Statt Parteien zu wählen, die sich für radikal bessere soziale Bedingungen einsetzen, wählen sie Leute, die für mehr Abschiebungen und mehr Videoüberwachung und ALG2-Sanktionen eintreten. Gibt es eine Möglichkeit, ihnen allen Blut ins Gesicht zu spucken? Niemand wird unfreundlich und kriminell und lieblos geboren. Wenn ein Staat seine Bürger wie dumme, gefährliche Kinder behandelt, wird sich die Bevölkerung auch so benehmen, obrigkeitshörig wie sie sind, diese dummen Deutschen. Die sozialen Umstände prägen uns mehr als Moralvorstellungen.

Man muss es sich leisten können, großzügig, warmherzig, entspannt zu sein: eingeklemmt in eine prekäre Arbeits- und Wohnsituation, ausgeliefert einer Stadt, die vom Autoverkehr so radikal zerstört wird, entmenschlicht, brutalisiert, dass man nicht wagt, zu grinsen, zu flanieren; wer entspannt gern an einer stinkenden, giftigen Hauptstraße? - ausgeliefert einer dreckigen Welt ohne Erbarmen, warum sollte der arme Einzelne nett und großzügig sein? Faschos hauen Migranten zusammen, weil der Sozialstaat eine kaltherzige Maschine ist, die notwendigerweiser empathielose Paranoiker hervorbringt, von der sie sich gleichzeitig ernährt. Ein apokalyptischer Automatismus! Ich hab Lust, der Unterhaltungsindustrie Komplizenschaft vorzuwerfen.

Wer ist gern freundlich, wenn er auf Arbeit getreten und geknechtet wird, ausgebeutet, drangsaliert und für dumm verkauft? Die SPD hat zu verantworten, dass sich das Prekariat radikalisiert hat. Die historische Aufgabe der SPD ist es doch immer gewesen, soziale Misstände in den weniger vermögenden Schichten zu beheben, damit die Menschen es sich überhaupt leisten können, am demokratischen Willensprozess teilzunehmen. Die SPD, die verdammte SPD war es, die unterschätzt hat, was die Agenda-2010 für soziale Verwerfungen gebracht hat - wesentliche Grundlage für den Erfolg der Rechtsradikalen.

Niemals darf man die AfD verharmlosen und unterschätzen. Sie wollen eine Revolution, sie wollen alles grundlegend verändern. Sie werden, sobald sie es können, Oppositionelle kriminalisieren, die Medien zensieren, sie werden mit ihren Fahnen überall sein, sie werden einen neuen, autoritären Superstaat aufbauen, sie werden einen hypermodernen Superfaschismus aufbauen, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat. Er wird sich seltsam anfühlen, aber man wird nicht mit dem Finger auf die Ursache für das Unbehagen zeigen können. Wie hypnotisiert wird das biodeutsche Wahlvieh an den Abgrund geführt.

Die Ästhetik des Faschismus ist ein wunderbares Heilmittel gegen die deutsche Depression. Der faschistische Wahnsinn einer reinen, perfekten Nation gleicht die Leere und Angst aus, die im Inneren alle Fäden in der Hand haben.

Der Staat ist nie freundlich zu seinen Bürgern gewesen. Erniedrigende Sozialgesetze haben eine Parteienverdrossenheit und Demokratiefeindlichkeit erzeugt, die in allererster Linie dem linken Lager geschadet haben.

Hätte die Rot-Grün-Regierung zu Beginn des neuen Jahrtausends die Republik in einen sozialistischen, liberalen, friedlichen, warmherzigen Wohlfahrtsstaat transformieren wollen, und hätte man in Bildung und Digitalisierung und regenerative Energie investiert, hätte aus Deutschland eine humanistische, gemütliche Bildungsnation werden können und es gebe kein beleidigtes Prekariat mehr.

Vielleicht wird auf dem Grabstein der offenen Gesellschaft stehen: "SPD, du mieses Stück Scheiße!"




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Das ALG2-System passt perfekt auf ein so obrigkeitshöriges, demütiges, phantasieloses, masochistisches Kleingärtnervolk wie die Deutschen es sind. Schröder hat vor 15 Jahren Hand in Hand mit einem korrupten Großkotz die bevormundende, drangsalierende Bürokratie perfektioniert, die Bismarcks verwesten Schwanz für alle Zeit im goldenen Regen stehen lässt. Fast jeder Sanktionsvollstreckungsbeamte ist mit der Pickelhaube auf die Welt gekommen und wird sie mit ebendieser verlassen. Die Pickelhaube gehört zu Deutschland wie die Faust aufs Auge. Dies erkannt zu haben ist das größte Verdienst von Schröder. Die urdeutsche Tristesse ist es, von der sich die völkischen Jammerlappen und nationalistischen Brüllaffen und spießigen Kleinbürger und kindischen Arbeitsochsen ernähren, deren Wut und Paranoia wir verdanken, dass Deutschland so schön strahlt in der Mitte Europas.

Ich bin nur ein schlafloser Geier, der sich am alten Fleisch des Volkskörpers gütlich tut, ein Nestbeschmutzer ohne Heimat, getrieben von Hunger und zu viel verbleibender Zeit.

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Wenn Bayern das Texas Deutschlands ist, ist Sachsen das Texas Ostdeutschlands. Ich bin der paranoide Sohn atheistischer Hirten. Wenn in Chemnitz eine Sackgasse zum Todestrakt wird, ist Merkel das nüchterne Pendant zu Trump. Ich bin der Enkel einer verbrecherischen Trägheit. Wenn Erfurt das Texas Thüringens ist, ist Bodo Ramelow das unsichtbare Gespenst rotrotgrüner Verwaltung der Gaskammern. 2019 werden die Thüringer die CDU mit der AfD in die Regierung schicken und es gibt nichts, was man dagegen unternehmen kann. Deshalb hat sich meine geliebte Band "Die blühenden Landschaften" darauf verständigt, sämtliche Harmoniesucht auf das Private zu beschränken. Man muss die Leute da abholen, wo sie sind: ganz ganz unten. Fuck, mir wird schlecht. Zum Glück kann ich mich darauf verlassen, immer tolle Menschen in der Stadt zu treffen. Heute so wie gestern und morgen. Erfurt, du ambivalentes Stück Hundewelpen-Scheiße, stickiges Kasino der Halbherzigkeit, zufälliges Blumenbeet. Wer könnte dich besser heilen als ich? Bin ich doch voller Liebe und unermesslicher Bescheidenheit auf der Suche nach dem unheiligen Gral, dem mit der Aufschrift "Mitarbeiter des Tages".