Nicht die Nerven verlieren, sagt Jesus

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Es wird alles scheitern an meiner Unfähigkeit, gelassen mit Leuten umzugehen, für die ich nichts Positives empfinde.

Der Mangel der Linken ist immer der gewesen, dass sie keine Typen hervorgebracht hat, mit denen man sein Brot teilen würde. Entweder sie waren zu elitär für die Armen und zu intellektuell für die Überforderten und zu pathetisch für die Erloschenen, oder sie waren zu bürgerlich, zu marktliberal, zu mittelmäßig.
Der Mangel vieler Linksgrüner meines Alters ist ebenfalls, dass sie nicht so wirken, als würde man gern mit ihnen das Zimmer oder das Müsli teilen. Entweder sind sie zu verlottert, zynisch, selbstbezogen, besserwisserisch, oder zu steif, zu spießig, zu lustlos und aalglatt.

Mein Mitbewohner ist mein Feind. Ich muss mich diplomatisch verhalten. In meiner Manie bin ich so sensibel, dass ich es kaum bei mir aushalte. Ich sehe überall gleichermaßen einen Grund, glücklich und entsetzt zu sein. Die Energie, die mein Körper in dieser Manie verbraucht, ist irgendwann leer. Ich muss auf etwas Schlimmes gefasst sein. Ich werde mir sagen müssen: das ist nicht wirklich schlimm.

Das Nonverbale, das Einseitige will Kontrolle über mich, will mich aus der Balance kippen, in der mich die Ambivalenz hält. Ich möchte mich einsperren und nur für wenige Freunde erreichbar sein. Mein Mitbewohner gehört nicht zu meiner Familie. Ich muss - solang ich hier wohne - Frieden stiften, gleichwohl hasse ich es, ihm Dinge zu erlauben, die ich ihm nicht erlauben will. Ich möchte mich gut stellen, er darf nichts von meinem Ekel wissen, von meiner Verachtung. Er denkt, ich bin ein lieber Junge, er denkt wir sind Freunde. Er weiß nicht, wer ich bin. Ich bin so aufgepeitscht von dem Licht und der Musik, ich denke daran ihn zu töten und denke nicht daran.

Wie konnte ich ihm meinen Verstärker überlassen? Ich will das es mein Gegenstand bleibt! Wie dreist er schon in mein Zimmer kam, den Amp gesehen und gesagt hat: "Den will ich auch ausprobieren..." und schon gehört er ihm. Ich hab ihn verloren. Er ist kontaminiert. Lohnt es sich, ihn zurückzuholen? Ich darf mich nicht reinsteigern, sonst laufe ich Gefahr, mich in etwas zu verwandeln, das nie wieder ansprechbar ist von meinen drei besten Freunden. Ich muss mich konzentrieren auf mein Schreiben, das ich mit meinem Atem synchronisieren will.

Letztlich genügt es, nur so zu tun, als würde man das Ziel, das man sich gesteckt hat, tatsächlich auch erreichen wollen, denn letztlich geht es darum, den Mut, die Kraft zum Leben, den Spaß am Leben nicht zu verlieren. Es genügt, als Wahnsinniger so zu tun, als wäre man ein Künstler. Die Kunst ist ein geeigneter Blitzableiter. Bevor dein Wahnsinn dich erschlägt, lenke ihn in ein Projekt.

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Ich stelle fest, dass ich klare Leitlinien und gemütliche Menschen und viel private, intime Sicherheit und Verlässlichkeit brauche, wenn ich manisch bin, sonst droht alles überzuglühen und mich aus Bahnen zu werfen, die mir im Grunde ganz gut tun. Wenn ich meinen Ekel mit demonstrierter Freundlichkeit in die Schranken weise, ist das auch gut.

Ich rufe also allen Einsamen und Gedrückten und Empfindlichen und Verlorenen zu: organisiert Euch, schließt gleich nach dem Aufstehen Eure Einsamkeiten in Reihe, bildet ein solidarisches Netzwerk bis mittags, kombiniert Eure Sensibilitäten miteinander, plüscht Eure Entbehrungen, erleuchtet mit Euren subtropischen Augen alle Auswege aus allen Krisen, kuschelt Euch abends in Eurem ewigen Baumhaus in Ausgangsposition für das letzte Jahrzehnt Eurer Jugend.

Ihr gehört zu den amorphen, oppositionellen Kräften, die diesem Staat nicht verloren gehen dürfen. Tut was auch immer, um bei Laune zu bleiben, um Euch selbst zu lieben oder wenigstens anzuerkennen als die wunderbar seltsame Masse Lebendigkeit, als die Ihr in die Geschichte eingehen werdet. Beendet den Tag heiter und gemütlich, Ihr seid alt genug, um darauf vertrauen zu dürfen, dass sich der Rest irgendwie ergeben wird. Ihr seid nicht auf Glück angewiesen: es reicht völlig, nicht die Nerven zu verlieren, um aus Eurem Leben das Größtmögliche zu machen.