Die schöne Stadt

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Die Städte wachsen und drohen, zu zerfallen in Schickeria und Slums, fest verschnürt vom Autoverkehr und hämisch dekoriert mit lieblosen Stiefmutterbeeten und Parks. Die Menschen laufen aneinander vorbei, sie verdächtigen sich alle, böse Absichten zu haben. 

Urbanes Leben muss schöner werden, damit die Menschen nicht abstumpfen. Je unsensibler, depressiver, aggressiver der Einzelne, desto weniger Reiz haben für ihn die Ideen der Zivilisation, der Humanität und der Demokratie. Wer Jahrzehnte in der Großen Maschine gemahlen wurde, wird schlimmstenfalls nicht mehr die für die offene Gesellschaft nötige Empfindlichkeit aufbringen können und sich verbeißen in marktradikalen Dogmen oder sich in völkische Ideale verirren.

Das Alte muss weg.
So wie die garstigen Omas und kalten Opas bald sterben werden, werden ihre Enkel die Macht übernehmen.
Schon jetzt werden wir ihnen verbieten, mit unserer Zukunft zu spielen.
Politische Entscheidungen müssen überwiegend von denen getroffen werden, die am längsten mit den Konsequenzen zu leben haben.
Die mächtigen Alten wollen sich die Welt so gestalten, dass sie entspannt ergrauen und erlöschen und erblinden und erlahmen und versterben können. Es gibt natürlich viele Alte, die sich mit den Jungen solidarisch fühlen, liebende Großväter, gebildete Großmütter, die sich in Umweltbewegungen engagieren oder einen guten Draht zu einem Gott haben.
Die arrogante Macht der kalten Alten wiegt jedenfalls schwerer als der Übermut der Jungen und ihrer Freunde und Helfer.
Ich kann erstmal nicht viel mehr tun, als die Jungen daran zu erinnern, dass man Strukturen verändern kann. Ob mit den Alten oder gegen sie.

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Erfurt muss aus den Köpfen raus. Alles muss neu gemacht werden.
Es braucht den Ortsnamen nicht mehr, wenn alles neu ist.

Es wird eine Zeit geben, in der dieser Raum keinen Namen haben wird. In dieser Zeit werden die Städte Eisenach, Erfurt, Weimar, Jena, Nordhausen und Gera miteinander verbunden und in Weimar unbenannt.
 Der Wald ringsherum wird massiv aufgeforstet, die Massentierhaltung abgeschafft, Windräder und Solarfelder aufgebaut und eine sanktionsfreie Mindestsicherung von 800 Euro eingeführt, die allen Bewohnern der Stadt / des Landkreises zustehen.
In den Städten gibt es keinen individuellen Autoverkehr. Es gibt E-Busse, E-Bikes, Seilbahnen, Boote, autonome Taxis. Die Stadt vergibt Gutscheine für ein E-Bike pro Wohngemeinschaft und ein E-Lastenbike pro Hausgemeinschaft.
Die Straßen sind Parkanlagen geworden.
Die Stadt ist ein öffentliches Wohnzimmer und ein öffentlicher Garten geworden.
Jeder Bürger hat das Anrecht auf einen sicheren, trockenen, warmen Wohnraum für sich allein.
Die Stadt hat neue Häuser gebaut und alte Häuser vergesellschaftet, sodass für jeden Bürger zwischen 10 und 15 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung stehen, inklusive Bad und Kochmöglichkeit, freies WLAN und großen Hinterhof voller Bäume, Tische und Bänke, Vogelgesang, Gespräche, Abendbrot.

Die Innenstadt ist ein Raum der Kultur, der Zivilgesellschaft, der Bildung und Wissenschaft und Politik und bestimmter Geschäfte.
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Alle Waren werden auf Marktplätzen oder in Verkäufsräumen der öffentlichen Hand vertrieben.
Es gibt in ganz Weimar nur sechs riesige Einkaufszentren, im Zentrum der Gebiete, die früher Eisenach, Erfurt, Weimar, Jena, Nordhausen und Gera waren.
Auf einen paar Etagen gibt es alle Waren, die früher in der gesamten Stadt angeboten wurden.
Regionale, biologische, nachhaltige Lebensmittel werden subventioniert und sind günstiger und verbreiteter als andere.
Lebensmittel, die nur zwei Tage haltbar sind, werden in speziellen Supermärkten angeboten. Hier darf jeder, der nachweislich länger als eine Woche in Weimar lebt, täglich Waren im Gesamtwert von zehn Euro mitnehmen, ohne sie zu bezahlen.
Es gibt große, helle Orte, wo man gemütlich herumsitzen kann, es gibt von öffentlicher Hand gekochten Kaffee und von öffentlicher Hand gebackenen Kuchen. Spar dir deine symbolischen Geldstücke. Du musst in deiner eigenen Stadt doch nichts bezahlen für Kaffee und Kuchen und der Gelegenheit, Leute kennenzulernen und herumzusitzen.
Und du musst auch nichts bezahlen, wenn du ins Museum oder ins Theater willst oder mit der Bahn fahren musst oder einfach nur einen Raum zum Schlafen oder Lesen brauchst.
Die Stadt hat große Häuser gebaut, in denen man kurz duschen kann oder Wäsche waschen kann.
Es gibt Räume in der Innenstadt, dort kann man mit immer den gleichen Leuten über die immer gleichen Themen reden. In einer Straße gibt es eine ehemalige Ladenfläche, dort ist der Menstruationsstammtisch. Hier haben nur Menschen Zutritt, die menstruieren. Es gibt einen offenen Stammtisch für Solartechnik. An einem Ort kann man sich massieren lassen. Es gibt Häuser, die einzig Schließfächer beinhalten: dort kann man alles, was man so besitzt, sicher verwahren.
Es gibt Räume, in denen immer wissenschaftliche Vorträge gehalten werden oder bestimmte Musik live gespielt wird. In einem Raum werden rund um die Uhr Schwarzweißfilme gezeigt. In einem Raum kann man immer Tischtennis spielen.
Der öffentliche Nahverkehr ist für Einwohner kostenlos, Besucher von außerhalb bezahlen 1 Euro für die Tageskarte und 10 Euro für die Monatskarte. Durch Verstaatlichung und Einsparung im Personalbereich können die Kosten gesenkt werden. 
Die vielen kleinen Gemeinden Ringsherum werden idyllische Dörfer: hier werden unter streng ökologischen Maßgaben die Nahrungsmittel produziert und in die Großstadt geliefert mit elektrischen Bahnen. Dort werden sie auf den Märkten steuerfrei verkauft.
Das ganze Bundesland ist autofrei und bezieht seinen Strom aus erneuerbaren Energien.
Es gibt immerzu öffentliche Debatten.
Demokratie ist ein Festival.

Jeder Tag des Jahres steht unter einem anderen Leitwort.
Es gibt zu Beginn jedes Monats große Feste, die die Menschen aus dem individuellen Alltag holen, um sie im kollektiven Rausch zu solidarisieren. Man verkleidet sich oder geht auf Konzerte oder ins Theater oder nimmt psychedelische Drogen oder schläft mit Freunden im Wald.
Die Menschen sind freundlicher und sozialer. Sie sind entspannt und vielseitig interessiert. Sie langweilen sich nicht mehr. Sie sind nicht mehr frustriert.

Überall passiert etwas Anderes.

Wenn man will, findet man die richtigen Leute.

Es gibt eine Weimar-App. Sie strukturiert alle Angebote und Nachfragen. Jeder kann sich registrieren und angeben, was er gerade braucht, worüber er gerade reden will, was er gerade transportiert haben will oder welches Musikinstrument er in einer Band spielen will. Jenny gibt ein, dass sie seit drei Jahren Klarinette spielt und gern Bluesmusik mit Trompete und Bass machen will. Sandra sucht eine lesbische Friseuse, die sich für Raumfahrt interessiert und ihr die Haare schwarz färben und die Spitzen etwas schneiden kann.
Es gibt Proberäume, Fahrradwerkstätten, Freiflächen für Hunde, riesige, dichte Wälder, unteridische Verkehrstunnel.

Man kann überall herumsitzen, man kann sich hier und da steuerfrei etwas hinzuverdienen, man kann etwas studieren oder eine Ausbildung machen oder sich politisch dafür einsetzen, dass andere Bundesländer sich zu riesigen Städten zusammenschließen.

Eine Stadt ist umso schöner, je mehr Spaß es macht, in ihr arbeitslos zu sein.

Bald besteht Deutschland nur noch aus 15 großen Städten:
Weimar, Leipzig, Berlin, Magdeburg, Rostock, Hamburg, Kiel, Bremen, Hannover, Frankfurt, München, Nürnberg, Freiburg, Saarbrücken und der Pott.

Europa könnte die Gesamtheit aller kontinentalen Riesenstädte sein, kommunal verwaltet, transparent, rechtsstaatlich und gemütlich für alle.

Die Welt könnte eine Riesenstadt sein, mit einem überall gleich hohen Lebensstandart. Die Natur erholt sich, die Menschheit lernt sich zum ersten Mal persönlich kennen und St. Pauli wird Weltmeister.