Gemütlichkeit mit dem Hammer

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Ich pflücke jeden Tag runde Texte, werfe sie in runde Körbe und vielleicht vergammeln sie zu einem grimmigen Kommentar verglichen mit den Goldenen Getreidefeldern, die unter grünem Himmel den wahren Menschen gehören. Diese Utopie ist mein Antidepressivum. Meine politischen und meine künstlerischen Versuche unterscheiden sich nicht. Alles, wirklich alles muss erlaubt sein, das mir Erfurt vom Hals hält, dieses graue, gelangweilte Gespenst, das meine Knochen schwer und meine Gedanken transparent machen will. Ich sehe meiner unmittelbaren Auflösung entgegen, ich stürze mit weit aufgerissenen Augen und müdem Grinsen aus Eurer Gemeinschaft und Erfurt verwandelt sich vor meinen Augen in das Dorf, das es ist, das lieblose, langweilige Erfurt. Ich spüre, wie mich die Tapete in meinem Zimmer genau so deprimiert wie die grauen Straßen und der blaue Himmel und all die nützlichen Gegenstände ringsherum, die mir suggerieren, dass ich jemand bin und ein Ziel habe; all die Gegenstände in meinem Zimmer sollen mir behilflich sein und lenken mich in eine bestimmte Richtung, definieren meine Möglichkeiten und damit wer ich bin, so wie die Häuserfassaden, wie die Gesichter auf den Straßen von Erfurt, wie der Sound in den Straßen von Erfurt, der Geruch von Entsolidarisierung und Bratwurst.

Wenn ich nicht schreiben und musizieren würde, wäre ich schon längst diese Garage geworden. Meine Mitbewohner riechen alle nach Erfurt. Diese WG ist ein genaues Modell von Erfurt. Die Gesichter der Menschen auf den Straßen und in Supermärkten sehen so aus, als würden sie gezwungen sein, den Rest ihres Lebens in unserer WG zu wohnen. Niemand traut sich auszusprechen, was das Leben in dieser Stadt schöner machen würde: mehr Gemüsemärkte, fröhliche Kinder, bunte Sandsteinhäuser, keine Autos, kein Plastik mehr, dafür wilde Parks, vielfältige Straßenmusik, gemütliche, öffentliche Wohnzimmer, freie Universitäten, freie Medien, freie Kunst.

"Ein gemütlicher Staat, eine liebevolle Bürokratie, glühende, schlaflose, unendliche Netzwerke, hach! Das ist es doch! Erfurt lässt Gedanken und Gefühle schrumpfen, Erfurt macht faul und aggressiv, wenn man nicht größenwahnsinnig oder verliebt ist.", hat schon der frühere Bürgermeister gesagt. - Alles ist wirklich nur von der Hintergrundmusik abhängig. Erfurt braucht neue Hintergrundmusik. Irgendwas muss übertrieben werden. Europa bereitet sich auf eine große Depression vor, deren wütendste, kälteste Vorboten die Rechtspopulisten und Neofaschisten sind, deren giftige, leuchtende Blumen den tristen, phantasielosen Garten der Demokratie und Menschenrechte dekorieren wie das Lächeln eines Metzgers über die Hölle der Massentierhaltung hinwegtäuscht.

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Solltest du dein Verhalten ändern oder solltest du wie bisher fortfahren? Diese Grundfrage entschleunigt meinen Koffeinrausch und sorgt dafür, dass ich mir keine Fleischwunden beim Durchstolpern des Treppenhauses zuziehe. - Wenn du dein Verhalten ändern willst, um auf die richtige Seite, auf meine Seite zu gelangen, musst du dich nur vergewissern, dass es kein festes Ich gibt. Wer in dir will Herr über deine Eigenschaften werden?

Wenn man sich in einer schäbigen Garage verliert, ist man jemand Anderes als auf einer warmen Blumenwiese. Weil es kein festes Ich gibt, kann man nur authentisch sein, wenn man sich voll und ganz mit der Umwelt identifizieren kann. Wer ist das in mir, der sich mit etwas identifiziert? Die Suche nach dem wahren Selbst ist im Grunde nur die Suche nach einem optimalen Apartment, wo man arbeiten und dösen und lieben und scheitern kann wie man will. Wer ist das in mir, der arbeitet und döst und liebt und scheitert? Ein Phantasieprodukt. Ein Gedanke. Die Vorstellung, wie Andere mich sehen könnten. Diese Vorstellung ist schwer zurückzuweisen. Das Bild, das wir von uns selber haben, ist bestimmt von dem Bild, das wir Anderen unterstellen von uns zu haben. Wir haben keine unabhängige Meinung von uns. Eigentlich gibt es uns in der ersten Person gar nicht, nur in der dritten Person, als die Andere uns wahrnehmen und festlegen. Die Welt kommt von außen, die Wahrnehmung scheint innen stattzufinden, aber die Wahrnehmung nimmt sich selbst wahr, das Gehirn weiß, dass es existiert und behauptet ein Ich, das scheinbar im Körper die Außenwelt wahrnimmt und darauf reagieren muss, dieses Ich ist aber selbst nur Außenwelt, alles ist Außenwelt, denn es gibt keine Innenwelt. Es gibt keine immergleiche, verantwortliche, autarke, unteilbare Instanz hier... 

Ich behaupte, dass man eine Sache erst richtig erfahren hat, wenn man sie übertrieben hat und in meinen Augen drehen sich die roten, hypnotischen Spiralen meiner Überzeugungskraft: "Deine Belastungsgrenzen definieren, wer du bist, nicht dein Land, nicht deine Eltern, nicht dein Beruf." - Seit Monaten werde ich von einer sichtbar geistig behinderten Frau verfolgt, erst war ich sicher, dass es nur ein Zufall war, mittlerweile glaub ich nicht mehr so dran. Sollte ich das ernster nehmen? Heute hat sie mich am Gemüseregal angesprochen: "Alle Menschen sind ein einziger Gott, der sich verirrt hat." Ich musste sofort lachen, weil ich die letzten Tage davon geträumt habe, dass wir alle der selbe Mensch in einem anderen Körper mit einer anderen Geschichte an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit sind. "Wenn ich mich jetzt noch erinnern könnte, was Gegenwart ist", mauschelte sie.

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Das Cannabis zwischen meinen Zähnen fragt: wäre es nicht schön, wenn alle Menschen entspannter wären? Wie müsste eine Gesellschaft strukturiert sein, in der Menschen ganz automatisch so entspannt und kreativ und munter sind? Wie muss dein Zimmer aussehen, wenn du dich so wohl fühlen willst wie unter Cannabiseinfluss? Wichtig ist, dass man sich bewusst macht, welchen Einfluss die Umwelt auf das Gehirn und damit das Bewusstsein hat - und dass man gegebenenfalls bestimmte Umweltbedingungen ändern muss, um zu verhindert, dass man jemand wird, der man nicht sein will. Man braucht ein klares Bild von sich, um wenigstens motiviert zu sein, etwas zu machen, ganz egal ob man dem Bild von sich entsprechen wird oder nicht. Ja, man kann authentisch nur sich selbst gegenüber sein, aber nur, wenn man ein konkretes Bild von sich hat. Idealisiere dich, unterwerfe dich dem Ideal, verteidige das Ideal mit aller Gewalt: sonst kommst du bald nicht mehr aus dem Bett... Ich erinnere mich plötzlich an all die Momente, in denen mich Andere nicht ernst genommen haben, oh wie viel Macht sie über mich hatten! Das ist die große Herausforderung: wenn man nie ernst genommen wurde und sich also selbst nie ernst nehmen konnte, findet man im Vergleich mit Anderen heraus, dass man sehr viel besser leben kann, ohne etwas ernst zu nehmen, solang man irgendetwas tut, sich beschäftigt, sich ablenkt von den allerkleinsten Fragen im Universum: "Wer bin ich?" Wer sowas fragt, verdrischt auch kleine Mädchen mit Sonnenblumen. Es gibt niemanden, der so eine Frage stellt, das kann ich dir gleich sagen, also konzentriere dich lieber darauf, wie du wahrgenommen wirst, das ist die eine zentrale Forderung, die das Leben in dieser Gesellschaft an dich stellt: erfinde eine Rolle und zieh sie durch - oder sei in jeder Minute jemand anderes. Man kann noch einen kleinen Schritt weitergehen und erkennen: derjenige in dir, der verschiedene Rollenspiele von dir beobachtet, spielt selbst eine Rolle. "Es muss mir doch möglich sein, ohne mein Ich auszukommen!", das ist die allerkleinste Antwort auf alles. Der Körper muss gereinigt werden von den Giftstoffen, die das Selbstgefühl in den Körper abgibt, um ihn zu unterwerfen. Erst wenn ich komplett leer bin, kann ich mich selbst erfinden.

Sei den ganzen Tag unter THC-Einfluss und schlafe unter THC-Einfluss ein und wenn du aufwachst gleich wieder. Wenn du es lang genug machst, vergisst dein Gehirn, wie die nüchterne Realität aussieht. Lässt du dann plötzlich die Substanz weg, wirst du einen fürchterlichen, suizidalen Kater erleiden, der dich ein für alle Mal mit den Elenden der ganzen Welt solidarisieren will, wenn du dein Ego vollständig ausmerzt und dir neue Freunde suchst..

Charles Manson erkannte die Gefahren des LSD: die Morde der Family waren sein avantgardistisches Statement zur Drogenkultur der 60er Jahre. Er wollte die Leute warnen, dass ein Horrortrip böse Folgen haben kann. Wir können ihm seine Mittel vorwerfen, nicht seine Botschaft. Es ist gut, dass ab und an Psychopathen auftauchen, um auf Probleme hinzuweisen. Solang es möglich ist, Psychopath zu sein, ist dieser Staat nicht optimal justiert. Die Krankheit eines Einzelnen ist immer auch die Krankheit der ganzen Menschheit.

Alle Menschen müssen auf Augenhöhe miteinander reden. Die ganze Menschheit muss miteinander reden und ein kollektives Sprachzentrum bilden, die Hauptzentrale der Menschheit, das, was die Menschheit auf die Metaebene bringt: alle Menschen sind an einem bestimmten Tag gemeinsam wach, alle virtuell verbunden zu einem Meta-Hirn, in der alle Menschen direkt spürbar auf alles andere Einfluss haben, so als befände sich dieses Meta-Hirn im Kopf des Menschen an sich, der gerade luzide träumt. Eine virtuelle Parallelwelt, eine interaktive Oberfläche, eine digitale Traumwelt.