Meine Stimme und Haschkekse

Der US-Präsident hat heute nicht gut geschlafen und ich bin von den ersten Haschischkekse des Jahres etwas überfordert. Keine Angst vor Klischees: will ich noch etwas einkaufen oder erstmal an meinem Buch arbeiten? Ich komm mir wie ein feiger Streber vor, wenn ich meine Karriere zu ernst nehme. Ich setz mich mit meinem Laptop in die Straßenbahn. Die Kekse sind sehr stark, ideal um über den Rausch an sich nachzudenken. Was ist passiert? Etwas Grundlegendes verändert sich, eine ungeheure Entspannung setzt ein, der Pessimismus ist wie weggeblasen, vielleicht hat mein Hund recht, wenn er meint, dass Depressionen resultieren aus Bewegungslosigkeit, Phantasielosigkeit und schlechten Freunden.

Der Staat macht einen Fehler, wenn er versucht, die Menschen in den Arbeitsmarkt zu überführen, er scheucht seit so vielen Jahrzehnten schon die heruntergekommenen Kühe und Schweine auf den Fleisch- und Milchproduktemarkt, als ob es für die Menschen nichts wichtigeres gäbe als eine monotone, den Alltag gehörig abstumpfende Arbeit, die jeder bessere Roboter, jeder besseren Software so viele Male effizienter erledigen könnte, erledigen wird. Die Sozialdemokratie hatten mit den Grünen die Chance, die Große Maschine gründlich zu reformieren, stattdessen haben sie die Sozialsysteme auf bösartige Weise rationalisiert, entmenschlicht - und jeder Mensch, der nicht in den Markt passte, wurde pathologisiert und sogar kriminalisiert. Man hat guten Gewissens die Hartzgesetze eingeführt und den Finanzmarkt dereguliert, statt noch besseren Gewissens die Menschen auf die Digitalisierung der Arbeitswelt vorzubereiten und Steuergerechtigkeit herzustellen. Um nicht mehr wie Gregor Gysi zu klingen, mit dem ich mich vorgestern in der Bahn nach Nürnberg zwei Stunden lang unterhalten habe über meinen Hass auf meine Eltern, nehme ich noch ein kleines Pfeifchen und warte auf den Einschlag.

Warum führen wir nicht in der Zwischenzeit eine Schulpflicht für Menschen ein, deren Schulabschluss mehr als fünfzehn Jahre alt ist? Vielen fehlt es an den kreativen Fähigkeiten, an denen es nicht den Kindern fehlt, die man in die Schule zwingt und auf ein System vorbereitet, dass es bald nicht mehr geben wird, denn ich hab auf dem Sperrmüll eine Trompete gefunden und werde damit die Bundesrepublik in eine dionysische Räte-Diktatur ... Ich schüttle den Kopf. Ich bin abgeschweift. Abgeschwiffen. Ich schwof. Ich schwof ab; oh die Abschwofung wurde vollzogen. Der Abschwuf wurde gemacht. Ich lache zum ersten Mal des Tages und hab Lust auf Schokocreme und Vollkornbrot und dickflüssigen Kirschsaft und vielleicht noch einen Keks und mit einem Gedichtband von Brecht und Field-Recordings, die ich von meinen Hinterhofgeräuschen gemacht habe: die vorbeirauschenden Autos und Vogelgezwitscher und Windrauschen sind verwoben zu einem endlosen, hypnotischen Ambientloop, in den ein gelangweilter Hund seinen frechen Refrain schnauzt, allein gelassen von gelangweilten Arbeitslosen, die ihre Zeit mit Herumbrüllen und Topflappen-Stricken totgähnen. Was wird hier gesühnt? Ich komme mir schäbig vor, weil ich nicht weiß, was zu tun ist, außer mich zu berauschen an der Nichtigkeit, dem in Stumpfsinn matt gewordenen Wahrnehmungsapparat im Kloster der Ereignislosigkeit zu rebooten. Solang man Selbstgespräche führt, kann man nicht die Kontrolle verlieren, denn so strukturiert man seine Gedanken und strukturierte Gedanken sind das warme Nest, in dem sich das transparente Ei meiner Depersonalität in Frage stellen kann.

Ich glaube die Vögel passen ihren Gesang an den Straßenverkehr an, sie spielen mit ihm, lassen zwitschernd wie in Trance durch den rhythmischen Auto-Noise ihre Lieder in den gewöhnlichen Himmel, Thüringen ist das Bundesland mit der geringsten Feinstaub-Belastung. Ich bin meine Sprache, die geschriebene oder die gesprochene, je mehr ich rede, desto fiktiver bin ich, oder sollte ich etwa all meine verfügbaren Gefühlszustände auf einmal ausleben und alles aussprechen, was ich im Moment denke?! Unmöglich. Ich bin, was ich artikuliere. Ich bin abhängig von all denen, mit denen ich rede und denen, für die ich schreibe. Wenn ich Selbstgespräche führe, stimuliert der Klang meiner Stimme mein Ichgefühl. Wenn ich nichts sage, existiere ich nur als Körper. Ich hab keine Lust mehr zu schreiben, die Gedanken rasen, überfordern mich, meine schwarzen Füße riechen plötzlich nach warmem Käse, mir läuft das Wasser im Mund zusammen, der Typ über mir spült seine Pisse an unserer Küche und meinem Zimmer vorbei, ich will große, gemütliche Freundeskreise, je mehr ich denke, desto weniger kann ich sein, ich knabber an meinem Daumen und fühle mich wie ein Idiot, der keinen Grund zur Sorge hat.

Der Rhythmus meines Herzens ist die Hymne dieser Stadt, schämt euch! Wie ihr die Natur verdrängt! Schämt euch! Wie ihr euch anbrüllt! Schämt euch! Verzettelt euch! Nächste Station: Sackgasse, bereitet die Konfettikanone vor: ich werde jetzt aussteigen! Ich werde den Boden der Tatsachen betreten! Ich werde mir jetzt Müsli kaufen! Ich werde niemals die Regierung stürzen. Hätte euch der Text als Krimi aufgebauscht besser gefallen, wenn es statt um Müsli um Heroin gegangen wäre und statt um Käsefüße um Ritualmorde? Wollt ihr wissen, wie ihr die Welt besser machen könnt oder wollt ihr nur ein bisschen durch die Zeit trödeln? Ich mach euch ein Sonderangebot, das ihr nicht abschlagen könnt! Nicht ohne meine Erlaubnis. Also bitte, setzt euch, lasst euch von mir streng in die Augen schauen und ernst und liebevoll sagen: "Ich weiß es doch auch nicht!" Meine Stimmt klingt, als würde ich mir glauben.

Wenn ich keine Stimme hätte, würde ich mich einsamer fühlen. Meine Selbstgespräche regen die selben Areale im Gehirn an wie Gespräche mit anderen Menschen. Ich flattere auseinander, wenn ich mich nicht auf irgendetwas Willkürliches konzentriere: nun, so will ich mich auf den Klang meiner Stimme konzentrieren. Sie ist warm und entspannt und angeraut, etwas schief vielleicht, etwas aus dem Gleichgewicht geraten, aber sie strahlt Zuversicht aus. Vielleicht hätte ich mir schon längst Knochen gebrochen, wenn ich eine grelle, zitternde, kindliche Stimme hätte. Ich bin meine Stimme und meine Worte, spreche meine zerrissenen Monologe ins endlose Grau verschwendeter Nachmittage. Unfähig, Besuch zu empfangen, liege ich wie eine fettgefressene Schlange im Ausguss. Hoffentlich haben die Behörden nicht mitbekommen, dass ich keine Miete bezahle. Hoffentlich wird das Recht auf Wohnen ins Grundgesetz aufgenommen. Ich gähne, zerzause meine Kopfhaut kratzend meine Haare und in Frankreich haben die Menschen vielleicht eine rechtsextreme Präsidentin gewählt und wenn ich die deutsche Popmusik überfliege, die in den letzten Jahren allen echten, revolutionären Geist aus den jungen Leuten gewaschen hat, wird mir so schlecht! Wie konnten wir das zulassen! Niemand setzt dem wirklich etwas entgegen und in Deutschland kommen dieses Jahr die Rechtsradikalen wieder zurück ins Parlament. Ich gähne, ein feiner Schmerz der rechten Schläfe lässt meine Augen zucken. Hiermit nehme ich als freier Mensch an der Weltgeschichte teil und stelle meine Sprache der Bevölkerung zur Verfügung. Wenn Ihr mich gern lest, bin ich Euer Freund! Ich habe so viel zu geben! Ich gähne. Je weitsichtiger man ist, desto hinfälliger erscheint die eigene Kreativität: deshalb niemals den Alltag verlassen. Verzettelung. Einsamkeit. Jemand bereitet einen neuen Anschlag vor.