Einleitung

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Es gibt Städte, an die will man glauben, die will man gestalten, verschönern, verteidigen, die will man ins Herz schließen, in denen will man auch in Gedanken und Träumen wandeln, Städte die inspirieren, die das Leben atmen und am Puls der Zukunft blühen - und es gibt Städte, die Ballast sind, die grob und erkaltet die Landschaft ruiniert, die den Brustkorb der Einwohner verengen, die Gedanken verdüstern und noch gefährlichere Langzeitfolgen nach sich ziehen können, Städte deren Namen man nur ungern ausspricht, an denen man der dummen Gewohnheit wegen hängt, die einem ein widerlich ironisches Gefühl von Patriotismus abnötigen wollen, Städte die gelangweilt und überfordert in der Mitte Europas auf eine katastrophale Wende warten wie du und ich. 
Im Spätsommer 2016 erkannte ich die Notwendigkeit, Erfurt abzuschaffen, um nicht geschluckt zu werden von jener Kälte und Niedergeschlagenheit, die hinter den Fassaden der hübschen Altstadt wuchert wie gewöhnliche Schimmelflecken hinter der weißen Raufasertapete. Erfurt abschaffen heißt für mich: die Stadt aus meinem Herzen, ihre Kälte aus meinem Kopf zu bekommen und ihre Sinnlosigkeit aus meinem verrätselten Unterleib. Wenn nun alle Bewohner Erfurt aus sich herausbekommen haben, der Name der Stadt also verschwinden kann, alle Gesetze und Normen und Grenzen neu verhandelt werden und die Autos und Geschäfte aus den Innenstädten verschwinden und der öffentliche Raum zu einem gemütlichen Wohnzimmer für alle wird, kann Erfurt von der Landkarte gestrichen werden. Die Bewohner haben kein Erfurt, kein Thüringen, kein Ostdeutschland, kein Deutschland, keine BRD im Herzen mehr, nur noch ihre Straßen, ihr Viertel, die finanziert, geschützt und verteidigt werden von einer freien, freundlichen, komplexen, digitalen Europäischen Republik. 

Meine Texte haben nicht nur eine politische oder ästhetische, sondern auch eine psychologische Dimension: die Veränderungen, die ich Europa wünsche, wünsche ich mir ebenso für mein persönliches Leben. Ich möchte nicht erkalten, irre werden, Blut an meinen Händen haben und zynisch und übersatt dahinwelken. Ich möchte meinen Freunden ein guter Freund sein, ich möchte mein Geld keinen schlechten Menschen geben, ich möchte etwas Sinnvolles tun mit meiner Zeit und meinem Raum und meinen Möglichkeiten.

Je mehr Ordnung ich in meine Blogs bekomme, desto stabiler mein Nervenkostüm, wenn ich durch die Stadt irre auf der Suche nach neuen Antworten auf die immergleichen Fragen; je klarer ich bin, desto überzeugender mein Charisma - und ich brauche Charisma, wenn ich eines Tages sehr viel Verantwortung für Erfurt übernehme. Ich muss stabiler, seriöser, tiefgründiger und klüger werden.

Ich bin ein instabiler Mensch in einer instabilen Welt, aber endlich nicht mehr fähig, depressiv zu werden: dafür bin ich mit mir selbst viel zu gut befreundet und ja, deshalb sollte ich Bürgermeister von Erfurt werden. Dieser Blog ist die erste Spur, die man von mir aufschnappen wird.

Wie soll ich meine Texte ordnen? (Je länger ich wach bin, desto existentieller wird diese Frage.) Was hält den ganzen Laden überhaupt zusammen? Jedenfalls keine Geschichte, jedenfalls keine Objektivität, jedenfalls keine Überzeugungen. "Es geht auch ohne!", brülle ich von meinem imaginären Balkon, als der freundlichste König der Weltgeschichte, voll zärtlicher Liebe für all jene, die mich gewählt haben und voll überzärtlichem Respekt für jene, die mir nichts zutrauen. Es geht auch ohne Vertrauen, es geht auch ohne Geld, es geht auch ohne Hoffnung und Schmerzen. Das Durcheinander der Sinne, der sumpfgrüne Eros der Ratlosigkeit, ein kuscheliger Alltag ringsherum und fertig ist das Mondgesicht.

Vielleicht beginne ich mit Oberflächlichkeiten. Ich bin parteiloser, mit Grünen und Linken kuschelnder Lokalpolitiker aus Erfurt. Meine Arbeit im Stadtrat verstehe ich als Performance. Hauptanker meiner Philosophie ist die Idee, dass das Ich nur ein Gedanke ist und gar nicht wirklich als stabile, klar beschreibbare, verlässliche, berechenbare, zentrale Substanz vorliegt. Es ist nicht möglich, authentisch zu sein, weil es kein festes Selbst gibt. So ist es unvermeidbar, eine Rolle zu spielen. Es gibt kein wahres Gesicht: alles ist Maske. Das Chaos im Inneren kann von keiner Mimik, keiner Institution, von keinem Wort, keiner Idee aufgehoben werden. Mit der Idee eines "wahren Ichs" übertüncht man noch am Allerbesten die Abgründe, die niemals verschwinden werden: sobald du aus deinen Routinen herausgleitest, sobald du aufhörst, an dich zu glauben, sobald du dir fremd wirst, sobald du das Fremdsein als Rausch erfährst, der dich schließlich ganz neben dir stehen lässt, erfährst du einen solchen Schub an neuen Möglichkeiten zu denken und zu fühlen, dass du dich völlig neu ordnen musst und dadurch ein anderer Mensch wirst.

Alles, was das Bewusstsein erweitert, ist gut für das Bewusstsein. Wenn sich das Bewusstsein der Menschen nicht verändert, verändern sich auch die Mechanismen der Zivilisation nicht. Wer aber würde bestreiten, dass die Dinge sich radikal zum Guten verändern müssen, damit sie sich nicht radikal zum Schlechten wenden? Ja, viele, sehr viele vielleicht, und sie bilden meine politischen Hauptgegner. Gegen sie helfen auch Hustenstiller, angewandt als psychedelisches Dissoziativa.


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Lesen Sie nicht weiter. Bleiben Sie stehen. Stehenbleiben hab ich gesagt!!! Ich habe gerade einen manischen Anfall, indem ich glaube, dass der folgende Text ein gutes Vorwort sein könnte. Auf einer Insel lebt ein Affe und er schreibt ein Vorwort: "Es gibt eine Sache, die man unbedingt tun muss. Man muss sich eine Manie auslösen. Dazu muss man an einem Tag eine Packung Hustenstiller voN rATIOPHARM verstärkt mit einem Liter Grapefruitsaft einnehmen. Was man dann macht, ist egal, entscheidend ist, was am Tag danach passiert: ich empfehle nochmal eine Packung Hustenstilller kaufen, verspeisen und dann ein bisschen Gras dazu und Echoes von dAVE bURELL hören. Diese Manie manifestiert sich mit diesem Buch.
Ich habe mir willentlich eine Manie ausgelöst. Ich habe zwei Packungen Hustenstiller genommen, ein Jahr nach meinem dreißigsten Geburtstag, die vergangenen Jahre haben so gut wie nicht stattgefunden, ich wälze mich in meiner Langeweile herum und möchte der Bürgermeister werden und frage mich, ob mein bester Freund mich ernst nimmt. Was hat unser Leben mit meiner Karriere zu tun? Das, was ich maximal tun kann: zu beschreiben, dass mich niemand wahrnimmt. Ich habe keine Funktion, ich tu nichts, ich habe keinen Nutzen. Es gibt niemanden, auf den ich mich verlassen kann. Großartige Paranoia.
Der Anfang dieses Buches muss ein schwarzer Knoten sein, der tief in der Erde vergraben ist. Ich bin Schriftsteller. Ich bin Schriftsteller.

Mach ich die Sache gern? Mach ich die Sache wirklich gern? Obwohl mich das Elend von Milliarden meiner Mitmenschen niemals Ruhe lassen soll, bin ich absolut zufrieden mit mir, der Tag ist sehr stabil, es gibt gehörig viel wahrzunehmen, schaut nur! Ich weiß, was gute Literatur ist. Gute Literatur verzaubert. Worin besteht der Zauber? Du erfindest eine Welt, wenn du liest, du erfindest eine Welt, wenn du denkst. Alles ist eine Erfindung deines Gehirns. Wenn du deine Gedanken änderst, änderst du deine Welt. Jemand spannt auf dem Plärrer in Nürnberg einen bunten Regenschirm auf. Ich habe nichts außer meine Sprache, ich habe nichts. Niemand wird das lesen. Wir sind alle alleine und haben nichts. Was haben wir?


2
Es ist ein nicht hinnehmbarer Skandal, dass wir gezwungen sind, Menschen zu sein. Wir sind gezwungen, unsere Organe zu benutzen, unsere Bedürfnisse zu befriedigen. Immer die gleichen Muster. Immer die gleichen Muster. Immer dieses Licht. Es blendet. Die Sonne ist heiß. Ich schäme mich für mein Talent. Niemand sieht mich.
Der großartige Noise der Caféhäuser, der ganze Planet quatscht miteinander. Ich stolpere, scheitere, enttäusche. Wer macht hier Druck? Es ist lahmarschig, wir wollen etwas erleben, wir wollen Ablenkung, wir wollen und wollen und zerbrechen an unserem Wollen. Wie kann man sich nur gezwungen fühlen, ein Mensch zu sein? Strammstehen für die Kunst. Wie dringend ist das Leben? Ich spüre, das alles auf ein großes Fest hinausläuft. Ich trau mich noch nicht, "Guten Morgen, Europa!" zu sagen.

Und ich hab Hemmung dir zu schreiben. Wie kann ich mich ernst nehmen, wenn es mich gar nicht gibt? Aber ich kann nicht bezweifeln, dass ich dich liebe. Ich fühle mich gezwungen, mit einem Buch Karriere zu machen, in dem ich leugne, ein festes Ich zu haben, und will trotzdem sagen, dass ich dich liebe. Du bist der essentiellste Mensch in meinem Leben und trotzdem gibt es mich nicht. Ich bin nur eine Idee in diesem Kopf.

Als Schriftsteller muss ich auswählen, welche Texte ich für mein Buch brauche und welche ich lieber für mich behalte, vielleicht verwende ich bestimmte Gedanken später, vieleicht in veränderter Form. Gedanken verändern sich ja mit der Zeit. Glücklicherweise sind wir nicht gezwungen, an einem festen Gedanken hängen zu bleiben.

Ich traue den Menschen ihre Coolness nicht zu. Alle sind ängstlicher als man glaubt, der Planet ist in heller, heller Aufregung, wir saturierten Europäer bekommen davon nichts mit, aber die Menschheit kommt gerade zum ersten Mal zu Bewusstsein als Ganzes: unfähig, weiter die Rolle eines Autors zu spielen, fliegt eine Bowlingkugel aus Unterschriften in den Kopf von Donald Trump.


3
Ich denke über meinen Schreibstil nach

Ich spüre, dass ich einen Stil habe, ich ahne, was mein Stil mit mir zu tun hat, ich weiß, dass ich mich auf meine Kunst verlassen kann: ich liebe Ich-Sätze (ohne an ein Ich zu glauben), ich liebe es, Substantive mit Verben oder Adjektiven zu versehen: der lächerlich-hysterische Fleischmensch. Ich liebe Ist-Vergleiche: meine Müdigkeit ist der Amboss, auf dem sich meine Persönlichkeit langweilt.

Zerstöre die Kontinuität, verändere die Muster. Ich liebe Aufzählungen, ich liebe Imperative, ich liebe es, wenn Sätze einfach Sätze einfach Sätze einfach Sätze einfach Sätze einfach. Es gibt keine Geschichte, aber es gibt eine Haltung.

Die Aggressivität meiner Introvertiertheit hat mir schon manche Peinlichkeit erspart, also spare ich euch eine Fantasiegeschichte, weil ihr nicht unterhalten werden müsst, und ich schreibe kein Sachbuch, weil die Wirklichkeit kein Objekt ist. Die Möglichkeit ist interessanter als die Wahrscheinlichkeit. "Alles Neue ist besser als alles Alte." - Bertolt Brecht ist ein großartiger Lebensgefährte: er gleicht die Spannungen aus, die Fritz Nietzsche und Emmo Cioran in ihrer Gegensätzlichkeit ausgelöst haben, Spannungen, denen ich die Emanzipation von meinem konservativen, kulturfeindlichen, lieblosen, demütigen, hysterischen Elternhaus verdanke und eine leichte, nicht behandlungsbedürftige Bipolarität, die mich davor bewahrt, allzu begeistert und allzu frustriert zu sein. Ambivalenz sollte es in einer Apotheke zu kaufen geben: bestimmte Cannabissorten könnten dafür in Frage kommen. 

Außerdem finde ich, dass Erwachsene, die dunkle Sonnebrillen tragen, um cool zu wirken, öffentlich hingerichtet werden sollen. Schlagt ihnen ihre scheiß Köpfe ab! Wir werden ihre verseuchten Leiber zu HACK verarbeiten und ihren Frauen und Kindern und Müttern und Vätern in den Rachen stopfen. Es ist UNGLAUBLICH, was wir uns alles bieten lassen!", ich schlug wild um mich, bis meine besten Freunde mit einer leuchtenden Kuscheldecke, weiß wie Wolken, weiß wie zärtliche Federwolken um die Ecke kamen und mich einwickelten. Währenddessen: in das menschenfreundliche Hellblau des Nachmittagshimmel hat sich eine todernste Dunkelheit gelegt, es riecht nach Brennnesseln und Honig, ein Gewitter liegt in der Luft, oder ist es nur die sinnlose Einsamkeit, die mir angesichts des sinnlos kalten Herbstes bewusst wird, zu viel Kaffee getrunken? Ich genieße es, meine dickflüssige Spucke in meinem Mund herumzuzutschen, ich liebe es, ungebraucht in der Ecke zu liegen und interessante Bücher zu überfliegen und interessante Telefonate zu führen, vielleicht geh ich heute noch raus oder ich liege wieder stundenlang auf meiner Matratze und höre Musik und freue mich, dass mein Staat mir das alles ermöglicht: eine grundlegende Freiheit, zeitlich unbegrenzt: das Fundament einer Menschenwürde, in deren Dienst ich mich als Künstler stelle: das absolute Grundrecht, tagelang Musik zu hören und Bücher zu lesen und Menschen zu treffen und Kunst zu machen; von keiner staatlichen Institution darf dieses Grundrecht eingeschränkt werden; ja es muss allererste Pflicht des Staates sein, dafür zu sorgen, dass sich jeder Bürger frei und gemütlich mit den Kulturgegenständen des Landes beschäftigen kann, sich selbst definieren und immer wieder verwerfen und neuerfinden kann.

Das größte Übel ist, dass die Menschen nicht verstanden haben, dass sie sich grundlegend verändern müssen. Kein Film, kein Buch, keine Talkshow hat das je in all der angebrachten Erschrockenheit thematisiert. Ich muss schnell machen, mein Zug kommt gleich. Der Staat soll uns nicht in den Arsch treten, letztlich treten wir uns nur selbst in den Arsch. Solidarität und Ekstase.

Meine Ideen für Bandnamen haben irgendwas mit mir zu tun. Es ist so schrecklich einfach:

Wir sind nicht Erik
Die Exekutive
Brot und Verderben
Die Islamisierung des Abendlandes
Europa als Ponyhof
Dieter muss sterben
Durst
Octopus Vulgaris
Vielleicht Attletik
Die leichten Boys
Das Zucken
Kommando Ingwersuppe
Amoklauf von Dossenheim
Die blühenden Landschaften

4

Ich ernähre mich von eurer Aufmerksamkeit.
Ihr gehört definitiv zu meinem Organismus dazu.
Ich ernähre mich von eurer Aufmerksamkeit.
Ihr gehört definitiv zu meinem Organismus dazu.
Ich ernähre mich von eurer Aufmerksamkeit.
Ihr gehört definitiv zu meinem Organismus dazu.

Ich frage mich,
wie lang ich mich noch mit Demien Bartók beschäftigen soll.
Ich weiß so wenig,
deshalb schreibe ich immer über das selbe.

Meine Beats wollen deine Kerze zünden!
Meine Beats wollen deine Kerze zünden!
Meine Liebe ist eine Kreissäge!
Meine Mutter ist eine stolze, stolze Frau!
Meine Beats wollen deine Kerze zünden!
Meine Beats wollen deine Kerze zünden!

Tobias Müller sitzt auf einem Stuhl.
Demien Bartók schüttet ihm einen Eimer rote Farbe über den Kopf.
Keine Schneeflocke gleicht einer anderen.
Fortan möchte ich auf einen festen Namen verzichten.

In meinem Gehirn gibt es keinen Denker,
meine Gedanken werden nicht gedacht,
es gibt niemanden der meine Gedanken denkt,
es gibt keinen Denkenden in mir,
ich denke mir nur den Denkenden in mir,
es gibt niemanden in mir der denkt,
meine Gedanken gehören niemanden,
mein Körper hat keinen Namen,
warum schaust du mich so an?

Meine Dezentrale will von euch beklatscht werden!
Ich will eure Gesichter fröhlich glänzen sehen!

Mein Denken kann mir nicht gehören,
weil es mich gar nicht gibt.
Es gibt nur den Gedanken, dass es einen Denkenden gibt.
Der Denkende selbst ist nur ein Gedanke
und Gedanken können nicht denken.

Ich denke nicht. Denken icht.
Was soll unter diesen Umständen
ein fester Name?
Es gibt mich nicht,
es hat mich nie gegeben,
es wird mich nie geben.

Deshalb:
benennt mich nicht mehr.
Jeder Name ist ein Galgen,
lasst mich,
wenigstens mich,
frei.