Über dieses Buch

Hätte ich noch mehr Selbstachtung, würde ich mir die Lippen blutig beißen.

Dieser Roman ist eine Cutup-Montage, wie mein Leben eine Cutup-Montage ist. Indem ich die Manuskripseiten meines Portraits einer depressiven Arbeiterstadt in einen Strauß bunter Blumen und Kettensägen verwandel, bekomm ich mein Leben in Griff, indem ich zwischen meiner insomnischen Egomanie und meiner cannabinoiden Zerstreuung Brücken der Hoffnung baue, spanne ich den bunten Regenschirm im Stadtzentrum auf, mein Gesicht schimmert weiß und starrt wie besessen abwechselnd auf den Bordstein und in den langweiligen Himmel.

Ich möchte etwas über die Struktur des Buches sagen, ein Blick auf die Route. Der erste Teil dieses Buches ist ein Streifzug durch das morgendliche Erfurt, ich habe meine Kanäle so weit offen wie ich kann, das heißt: ich bin vertraut mit Pharmazie zur Erweiterung der Wahrnehmung. Ich habe die Stadt noch nie als so dreckig und depressiv und aggressiv wahrgenommen, das kann ich Euch sagen. Aber der Grusel fasziniert mich, ich kann mich nicht satt sehen am Elend der Stadt. Indem ich leugne, dass ich ein festes Ich hab, halte ich mir die Stadt vom Leib. Ich bin niemand, ich tu nichts, ich werde niemals so kalt und kaputt wie Ihr! Ich dreh mich um mich selbst, bis ich vor Selbstherrlichkeit und Würde strahle. Ich stelle mir eine Kapelle der Guten Hoffnung vor und verzweige mich in einen manischen Anfall, löse durch stundenlanges Herumirren in der Stadt mein Ichgefühl restlos auf,also wird alles noch zerstreuter, zerfahrener, sprunghafter, bis die Energie langsam rausgeht und die Stimmung kälter wird, der Ton bitterer, die Illusionen lösen sich wieder auf, ein langsam verglühender Komet der Hoffnung, der nur komplette Dunkelheit hinterlässt. Im zweiten Teil des Buches ist es Hochsommer und ich bin am Ende meiner Kräfte und fern jeder Würde und Schaffenskraft, ich habe seit Wochen nicht richtig geschlafen, ich ersticke fast am Erfurt-Syndrom, ich werde blasser, kälter, stumpfer, bis mich im dritten Teil ein neuer manischer Schub plötzlich an ein freies, humanistisches, liebevolles, weltoffenes Europa glauben lässt und alles verändert sich und ich werde immer heller und aktiver und sensibler, ich bin kurz vor meinem dreißigsten Lebensjahr auf der Höhe meiner kreativen Kraft, habe viele großartige, kreative, hartnäckige Freunde, ich bin mir sicher, dass ich mich derart mit meinem Schaffen verwechseln kann, bis ich die Stadt, in der ich wohne, dieses triste, mittelmäßige, kulturlose Erfurt, in mir abgeschafft habe. Das Buch schließt mit Liedtexten, mit denen ich mich aufmache, Mitglied einer großartigen Band zu werden. Es gibt nichts Anderes, was ich in Erfurt machen will.

Die Dissoziation, die ich mir pharmazeutisch zugeführt habe, um die Drangsal auszuwaschen, die mir das Leben in Thüringen bereitet, könnten sich die Mitgliedsstaaten Europas politisch zuführen. Euphorische Entspannung und Empfindlichkeit. Dazu bedarf es nur der Fähigkeit, bestimmte Werte leidenschaftlich zu leben, statt sie nur halbherzig zu befolgen. Bestimmte Tugenden, die man sich setzt, weil man sie leidenschaftlich und ohne Distanz leben kann, ja muss. Ich meine Tugenden, die freundliche, hilfsbereite, liebende, empathische Menschen haben. Ich behaupte, alle Mittel sind Recht, die Menschen netter, cooler, zärtlicher, entspannter, großzügiger zu machen. Folgt halt Jesus oder meditiert mit 1p-LSD, fickt miteinander, schließt Verträge, mir egal: Hauptsache, Ihr kommt mal ein bisschen runter! Coolness ist eine politische Ideologie - unterwerfen wir uns ihr!