Der Grundschlamm

/ Jemand in uns ist gestorben und wir können den Leichengestank nicht länger überdecken. / 
/ Jemand in uns ist geboren und wir können sein Schreien nicht länger unterdrücken. /
Hier bin ich, der falsche Prophet! Ich werde der sein, auf den es ankommen wird.

Eine Leidenschaft muss so groß sein, dass sie sich nicht in einer Ideologie verfangen kann.


Solang ein Schriftsteller keinen festen, ihm angenehmen Platz in der Gesellschaft hat, was bleibt ihm anderes zu tun als um sich selbst zu kreisen, in sich selbst zu stürzen? Etwa sich von sich abwenden? Begegnung mit der Welt suchen? Aber wie, wenn er nicht weiß, für wen? Wohin sich ohne Publikum wenden?

Heute kann man nur noch in kurzen Abschnitten schreiben, wenn man eine Wirkung erzeugen will, die etwas anderes als pure Unterhaltung ist. Oder geh ich da zu sehr von mir aus? Mich berühren weder Romane noch Filme noch Dokumentationen, ich bin viel zu unkonzentriert, undiszipliniert und unfähig, mich auf größere Zusammenhänge einzulassen. Mir reichen drei oder vier gute Sätze aus, manchmal sogar nur ein einziger Song, um über den Tag zu kommen.

Ich schreibe für Leute, die mit der Informationsfülle, der Reizflut ihres Alltags so überfordert sind, dass sie nicht mehr über das Große und Ganze reflektieren können, die sich nicht kritisch von ihrem Werkeln und Fühlen und Dahinfließen distanzieren können, die sich an keinen Film, an kein Gespräch, an keinen Roman, an kein Sachbuch, an keine Fernsehsendung, an keinen Stream, an keinen Blog mehr festhalten können. Ich schreibe ausschließlich Kurztexte, die man alle in wenigen Minuten gelesen und begriffen hat.

Ich erkläre das Ende des Essays, das Ende der ausschweifenden Belletristik, das Ende hermetischer Lyrik, das Ende von halbgaren Manifesten. Es haben nur noch handliche, übersichtliche, schnell zu erschließende, einprägsame, aggressive oder psychedelische Texte einen Wert: lange Zeit dachte ich, man müsste dieser rastlosen, oberflächlichen, reizüberfüllten Welt eine monumentale Ruhe, Tiefgründigkeit, Erhabenheit entgegensetzen - nein, nichts da! Ein solches Buch wäre nicht mehr als eine schwarze Mülltonne in der Fußgängerzone, die von der grauen Unmenge umspült wird: ein kleines Ärgernis, das man schnell wieder vergisst. Ich habe die Strategie geändert: knappe Texte, klare Gedanken, subversive Aphorismen, kleine Manifeste, die man den vorbeirauschenden Menschen in die Jackentasche stecken kann, ohne dass sie vielleicht sogar Notiz davon nehmen. Dieses Buch versammelt all diese kleinen Geschenke, Wundertüten, Sprengsätze. Sie können beliebig zusammengestellt und verpackt werden.

Manchmal überwältigt mich die Angst davor, etwas zu schreiben, dem drückenden Chaos (dem drückenden Nichts?) etwas konkretes, geordnetes wie Worte gegenüberzustellen und dann auch noch ein Gesicht zu machen, als würde ich behaupten, dass es etwas gibt, dem diese Worte entsprechen. In solchen Zuständen wird mir bewusst, dass ich kein Schriftsteller bin. Wird jemals das ganze Ausmaß meiner Anmaßung offenbar?

Wer nur ein bisschen Lebenserfahrung hat und mir nicht vollkommen abgeneigt ist, wird an jedem meiner Sätze erkennen, welche konkrete Handlung ich (bewusst oder unbewusst) unterlassen habe, um stattdessen diesen Satz zu schreiben. Dieses Buch ist eine Sammlung von Ersatzhandlungen. Wenn du alles gelesen hast, errätst du, was aus mir geworden wäre, wenn ich nicht geschrieben hätte. Errätst du zum Beispiel auch, welche Handlung ich mit dem Schreiben dieses Satzes eingetauscht habe?

So viele Ideen, so viel Lust, so viel Talent zu Schreiben, Worte zu leimen, Sätze zu kleben - und doch der Lust entsagen, dem Schicksal entsagen, etwas zu schreiben. Woher warum hä? Würde mir Schreiben doch so einfach fallen wie seufzen, so einfahc und natürlich von der Hand gehen wie mir mein Starren und Lallen von der Hand geht. Ich gähne mich in Aussicht auf einen neuen Mate-Schock. Ich kann mich nicht weiter mit mir befassen, ich muss Distanz zwischen mir und mein Gehirn schieben. So viel Genialität, Göttlichkeit, Zauber und Wunder habe ich geschaffen und doch sag ich nein, ich will es nicht wahrhaben, ich kann mich von meiner eigenen Wunderbarkeit nicht verzaubern lassen, ich sage nein zu meinem Genie, nein zu meiner Produktivität, meiner Kraft, meinem Charisma, ich sage nein, ich gähne nein und laufe weiter im Kreis herum. - Ich sehne mich danach, mit dem Jungen, den ich liebe, auf dem Sofa zu schmusen und Musik zu hören, ihn zu küssen, einfach Zeit mit ihm zu verbringen. Diese Sehnsucht nimmt alles ein. Diese Sehnsucht nimmt alles ein. Ein erleichtertes Grinsen in meinem Gesicht erkennt meine Klarsichtigkeit an, ein breites, entspannendes, hellblaues Lachen stößt sich rhythmisch aus meinem Brustkorb. - Es ist überhaupt nicht schlimm, sich ab und an für alles zu hassen, was man benutzt um am Leben zu bleiben.

Die Hoffnung, als Schriftsteller den höchstmöglichen Grad an Selbstentfaltung zu erreichen, ist so schrecklich ordinär. Schreiben als Mittel gegen sich selbst und zugleich als Weg zu sich selbst hin: wie romantisch kann ich überhaupt sein?

Wenn ich nicht an der Idee hängen würde, ein Schriftsteller zu sein, wenn ich nicht so tun könnte, als wäre dieses Buch soetwas wie mein Kind, wenn ich nicht wollen würde, dass dieses mein Kind anderen Menschen etwas gibt, dann wäre ich längst vom Erdboden verschwunden.

Ich fühle mich wie ein kleines Kind, das Sandburgen baut und hofft, dass jemand vorbei kommt und ihm eine Zukunft gibt.

Jeder, für den Schreiben etwas Selbstverständliches ist, ist ein Hochstapler.

Meine Texte sind nicht Mittel, um in meiner Selbsterkenntnis voranzukommen, sondern um meine Isolation zu überwinden und Anerkennung zu finden. Jeder Satz könnte der Auslöser für eine Umarmung sein. Jeder nicht geschriebene Satz könnte mich um einen schönen Kuss bringen. Jedes Detail meiner Bücher soll die Erwartungen korrigieren, die man nach den ersten oberflächlichen Eindrücken an mich stellen könnte.

Man schreibt nur die Gedanken auf, die sich nicht genießen lassen, wenn man sie für sich behält.

Der Dichter kann nur Metaphern für eine in Metaphern eingeklemmte Ekstase basteln.

Am liebsten bliebe ich hier, auf der Vorstufe zur echten Schriftstellerei, so wie ich gern auf der Vorstufe jedes Fanatismus, jeder Zukunft, jeder Selbsterfahrung halt machen würde. Ich würde gern mit meinem Dilettantismus jenen Zustand verteidigen, in dem vieles möglich bleibt, mit meiner Tätigkeitsarmut mich abschotten von den halbherzigen, ehrfürchtigen Glühwürmchen rings um mich herum, all diese eingeknickten, von einem laschen Optimismus eingeweichten Esel und Lämmer und Stiere.

Schriftsteller müssen ihre Erlebnisse ihrer Sprache anpassen, wenn sie mehr sein wollen als die maladen, regendurchnässten Anwälte einer zermürbenden Schweigsamkeit. - "Sei ein Fangnetz!", ruft die muntere Meute auf die Bühne, wo ein grün-leuchtender Junge mit Käfermaske die poetische Sehnsucht der gesamten Menschheit enttäuscht, indem er seine Beschränktheit, seine Sehnsucht nach Behaglichkeit abwälzt.

Früher oder später werde ich nur noch schwarze Kreise malen - und schön dabei aussehen.



Wir sind heute endlich zu dem Mut gekommen, Probleme nicht mehr mit den Mitteln zu lösen, die zu den Problemen geführt haben.

Und niemals sollte man den gelangweilten, sparsamen, deprimierten Geistern meiner Generation die Hand reichen - ihre stumpfe Gier nach Abwechslung, Sensation und Rührung riecht nach den Dämpfen die entstehen, wenn man mit einem Feuerzeug ein Loch in eine Plasteflasche brennt.

Es gibt eins, was ich im Literaturstudium gelernt habe: um ein guter Schriftsteller zu sein, reicht es, alle Möglichkeiten als Niemand zu verspielen, ich meinte, um ein guter Schriftsteller zu sein, muss man sich als Nichts an den Hauptstrom anschließen, ich meinte, um ein guter Schriftsteller zu sein, muss man ständig den falschen Leuten auf den Arsch sehen. Ich stelle mir vor, welche Funktion meine Freunde in einem Ministerium für Schüchternheit, Seltsamkeit und Surrealismus übernehmen könnten. Seit Jahrzehnten leidet Europa an seiner Angst vor einer echten, möglichen Utopie, kaum jemand der die Fahne des Humanismus hochhält mit ehrlicher, feierlicher Miene, kaum jemand der uns zu unserer eigenen Größe ermutigt. Er würde strahlen vor Leben und Liebe und Mut und Frohsinn: "Wir müssen aufhören, in einer Welt etwas zu leisten, die dem Untergang geweiht ist. Die Unterhaltungsmonokultur und die Natur und Mensch ausbeutende Industrie- und Konsumkultur sucht eine undogmatische, aggressive, explosive Gegenkultur, vielleicht können wir nur mit Ach und Krach scheitern, aber das Ach wird markerschütternd sein, der Krach die noch munteren, neugierigen, ungebundenen Geister aufschauen lassen und uns versichern, dass wir niemals in dieser Stadt wirklich ankommen werden.

Ich weiß jedenfalls, dass irgendetwas existiert und ich wünschte ich würde mir zutrauen, eine Protestbewegung anzuführen, die behauptet: "Zu wissen dass irgendwas existiert, reicht vollkommen aus." Je weniger du verstehst, desto mehr Möglichkeiten hast du, dich zu verwirklichen. Jede Gewissheit, jedes Talent, jeder Geschmack und jeder Grundsatz untergräbt deine unendliche Substanz. Und tatsächlich, ich denke daran, was ich wirklich weiß: ich komme niemals aus meinem Gehirn heraus, alles findet bloß in meinem Gehirn statt, so als wäre ich mein Gehirn und würde mich, indem ich mich mit dem Leben auseinandersetze, bloß mit mir selbst unterhalten.

Alles, was man sich vorstellen kann, existiert. Jeder Gedanke ist genau so wahr wie ein Stein auf dem Boden, nur dass er sich anders anfühlt. Vielleicht wird unser Sonnensystem in den nächsten Sekunden von einem Schwarzen Loch angegriffen oder irgendein Besitzer einer Atombombe zettelt in einem plötzlichen Migräne-Anfall das Ende der Menschheit an. Gedanken sind nur Zwischenprodukt bestimmter extremer oder mittelmäßiger oder schwacher Empfindungen. Nichts ist jemals eindeutig, in jedem Moment kann alles umstürzen: das ist die frohe Botschaft dieses Buches.

So wenig du den Rhythmus deines Herzschlags mit Gedanken kontrollieren kannst, so wenig kannst du beeinflussen, was dein Gehirn denkt oder wie sich dein Herz fühlt. Du bist allein mit jedem deiner Gedanken hier. Niemand weiß, woran du denkst.

Manchmal reicht ein einziges Wort aus einem bestimmten Mund zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort, und alles ist vorbei.

Könnte dein Herz sich nur übergeben! Könnte doch die Kotze einen extrem fetten Panzer darum bilden, damit dieser pochende, kirschrote, blinde, hilflose Muskel sicher ist vor allem, was draußen passiert. Doch dein Herz bleibt ungeschützt in einem weichen, sich unaufhörlich seinem Ende entgegen bewegenden Körper, der irgendwo auf einem Planeten im Universum kreist, ausgeliefert dem, was seine Sinnesorgane wahrnehmen und dem, was sie nicht wahrnehmen.

Du stellst dir vor, welches Gesicht der Autor beim Schreiben dieser Zeilen gemacht haben könnte und dir kommt das Bild eines Baumes ins Bewusstsein, der rote Äpfel trägt. Du gehst auf den Baum zu, pflückst dir einen Apfel, legst ihn auf den Boden, trittst mit dem Fuß drauf und legst dein Gesicht in den Apfelbrei. Du riechst das Fruchtfleisch, du spürst mit deinem ganzen Körper die Wärme der Erde, du bist dir bewusst, dass dein Herz schlägt, deine Gedanken kreisen um deinen Herzschlag - wie dieses Ding schlägt, Schluck für Schluck Blut durch deinen Körper pumpt.

Du bist nicht das Werkzeug für eine Idee (das Gute, die Menschheit, Wahrheit, . .). Du musst alles, was es gibt, als Werkzeug benutzen, um deine größte Lust auszuleben, zum Beispiel indem du deinen Ekel auslebst, deinen schlechten Launen, deinen Lastern, deinen Perversionen nachgehst oder einfach nichts tust, abwartest, Pilze sammelst, Tee kochst. Alles, was aus dir heraus will, verändert das Universum. Ob du Anderen damit schadest, ist egal. Das eigene Wohl ist unendliche Male wichtiger als das Wohl eines Anderen.

Jeder kreative Stilbruch und jede destruktive Selbstironie kommt in ein Einmachglas, wie ein Schmetterling, so witzig wie ein internes Papier von McDonalds, in dem die Mitarbeiter dazu aufgerufen werden, sich nicht von Fast-Food zu ernähren. Free Jazz und Grüner Tee - eine Kombination die mich immer extrem euphorisiert und gleichgültig gegen das moralische und
ästhetische Empfinden Anderer macht. Ich fühle mich nach wie vor wie ein kleines Kind, das Sandburgen baut und hofft, dass jemand vorbei kommt und mir eine Zukunft gibt. All meine Zweifel sind Quallen und haben es auf meine Tagesstruktur abgesehen. Mich zum Duschen oder Haarekämmen zu motivieren scheint mir so unmöglich wie einem Nazi zu Klezmer zu tanzen.

Ratloses Zähneknirschen, Ersatz für unkomponierbare Musik, als Reaktion auf mein Gefühl, dass mir irgendetwas Grundsätzliches verloren gegangen ist, je weiter ich mich von meiner Kindheit entfernt habe. Im Vergleich zu damaligen Erlebnissen, Empfindungen, Träumen und Hoffnungen ist mein jetziges Dasein ein blasser, dürrer Schatten. Irgendetwas fehlt, etwas Bedeutendes. Eine Kehle und ein Messer - wie ein Stein auf dem Rand eines Brunnens - es gibt Gründe ihn anzustoßen und Gründe ihn nicht anzustoßen. Nobody knows the trouble I've seen....

Ich schnibbel alles, was ich in meiner Küche finde, in einen Topf, mach den Deckel drauf, stell ihn auf den Gasherd, dreh die Flamme voll auf, setz mich auf den Boden, halt mir die Ohren zu und warte darauf, bis alles explodiert. Diesen Eintopf und mein Warten verkaufe ich als Kunstwerk. Dieses Buch habe ich nicht geschrieben, um ein Schriftsteller zu sein. Ich habe keinen König in mir.
Ich sitze auf dem Boden, halte mir die Ohren zu und warte, dass jemand hereinkommt und irgendetwas tut.

Indem ich mich mit all meinen Gedanken verwechseln will, kündige ich den Frieden zwischen mir und meinem Gehirn; unansprechbar zwischen den Fronten verloren finde ich mein Glück und will es teilen. Ich wollte schon immer geliebt werden von jemandem, der stärker und gesünder ist als ich. Es ist nicht möglich zusammenzubrechen.

Ich denke nicht gern an die Zeit zurück, als ich versuchte, mich einem Publikum anzupassen, das sich gern unterhalten lässt von großen Gefühlen und alles verstehen will und Erwartungen stellt und enttäuscht ist, wenn diese Erwartungen nicht erfüllt oder sogar übertroffen werden.

Destruktion ist Ausdruck und Werkzeug der Skepsis. Ich wünsche mir, dass Europa in eine tiefe moralische, intellektuelle, ästhetische Krise stürzt, eine apokalyptische Unruhe soll den Kontinent erzittern lassen, alle Ideale und Institutionen, jede Bürokratie und Zweckrationalität soll der Blitz einer infernalischen Verdrießlichkeit treffen, alles soll sich in Skepsis und Hoffnungslosigkeit vereinzeln, in eine tiefe Winterstarre verfallen, bevor dann alles neu gepflanzt wird, alle Werte neu bestimmt werden. Alles muss einfacher, übersichtlicher, langsamer werden, der Mensch soll sich wieder auf das besinnen, was gesund für ihn ist, er muss sich entschlackt und entfettet und frei von einer übergeordneten staatlichen oder religiösen oder moralischen Ordnung aus einer Vielzahl grundverschiedener Staaten genau den finden oder erschaffen können, der seiner Natur am ehesten entspricht, ob es nun ein faschistisches Regiment oder eine Marktwirtschaft oder eine Anarchie ist. Es müssen sich viel mehr lebbare Alternativen entwickeln können, deshalb muss zunächst die ganze Welt erzittern vor Nihilismus - und das beginnt beim Einzelnen. Eine solche Phantasie soll als antikapitalistisches Gegengift das Gehirn und die Genitalien beleben. Sie ist der Trost eines in die enge getriebenen Hans Guckindielufts, die süße Frucht aus dem dunklen Garten einer ekstatischen Verzweiflung, der krampfhafte Versuch eines Gespenstes, in einen Körper zu fahren.


Wir können nicht zu eurer Musik tanzen, wir haben es versucht. Kannst du noch aufstehen? Dir den Dreck abputzen und wieder etwas aufbauen, das deinem Körper, deiner Liebe, deinem Schmerz entspricht? Dein Körper traut sich mehr zu, als es dein Geist nötig hätte.
Unsere Späße haben ihren Reiz verloren. Wir wissen und wollen immer zu wenig. Unsere Lieder sind schmächtig, verwanzt und aufgeblasen. Wir haben Angst unser Gesicht zu verlieren, dabei haben wir bisher nur Masken getragen. Das wahre Gesicht könnte man gar
nicht verlieren.

Überall diese spießigen, unsensiblen, geschmacklosen Samstagabend-Anarchisten! Ich kann sie nicht ernst nehmen! Übergeschnappte, fettsüchtige Gören, die ihren Spaß daran haben, den Kindergarten-Kühlschrank zu plündern und sich die Bäuche voll zu schlagen und übermütig das Essen im ganzen Haus herumzuwerfen. Sie haben genau so viel kreatives, revolutionäres Potential wie die Toten Hosen oder Kraftklub.

Es ist besser gut zu scheißen als irgendwas zu beweisen. Wer das lächerlich findet, muss eine Riester-Rente abschließen und Alkohol trinken. Der Instinkt der Selbsterniedrigung hat das gute Gewissen auf seiner Seite, er nutzt es als sein bestes Mittel aus und das gute Gewissen selbst findet im Instinkt der Selbsterniedrigung seine einzige Daseinsberechtigung.


Ich bin noch nicht reif, um mich in die Welt einzubringen. Ich brauche noch eine Hülle und einen Kern. Deshalb schlüpfe ich in die Rolle eines Künstlers und drehe mich um mich selbst. Dafür gewinne ich bestimmt mal irgendeinen Preis...

Wenn ich sage, ich bin dies und das, heißt das nicht, dass ich als dies und das wahrgenommen werden will, sondern dass ich mich selbst nur als dies und das wahrnehme - vielleicht bloß wahrnehmen will. Wenn ich von mir rede, will ich mir in das Chaos meiner Möglichkeiten und Unsicherheiten einen Grashalm Selbstgewissheit imaginieren, von dem ich hoffe, dass er umso realer wird, je heftiger ich mich an ihn klammere.

Ich will mit meinem Leben etwas Interessantes machen und als Künstler das Leben Anderer interessanter machen. - Das mag banal klingen, aber es ist wahr und es hat sehr lang gedauert, bis ich das wirklich begriffen und mir eingestanden habe. Ja, auch ich will am Ende nur unterhalten so wie jeder Künstler und auch jeder Politiker, jede Mutter, jeder Freund, jeder Krieg nur da ist, um einen bestimmten oder ausgewählte, oder viele oder alle Menschen zu unterhalten. Alles ist Unterhaltung, man kann zu allem euphorisch tanzen. Es gibt mehrere Arten zu unterhalten: inspirierend oder sedierend, bereichernd oder bestätigend, je nach dem welches Leben der Künstler führt und führen will und nicht führen will. An der Art, wie ein Künstler unterhalten will, kann man erkennen, wie er zur Welt, zu sich, zur Gesellschaft, zur Menschheit steht.

Gedanken an das Ich und an die herrschende Moral gelangen sowohl ins Bewusstsein als auch ins Unterbewusstsein. Im Bewusstsein werden sie unter Umständen langsam zu Idealen verarbeitet. Im Unterbewusstsein werden sie unter Umständen langsam zu Instinkt. -> Was man vergisst, arbeitet als Instinkt weiter. Zumindest für den heutigen Menschen ist es effizient, wenn er vieles nach Instinkt macht, da bewusstes, reflektiertes Handeln anstrengend, zeitaufwendig ist. Vieles würde man gar nicht machen, wenn man nur darüber nachdenken würde. Man muss lernen, zu vergessen, um die Instinkte zu aktualisieren oder sie sogar erstmal grundsätzlich auf unsere Bedürfnisse auszurichten und nicht auf die Moral, mit der man die Gesellschaft wie sie ist am Laufen hält. Man muss jeden einzelnen Wert, jede Norm, jedes Gesetz, jede Erwartung überwinden KÖNNEN. Der Körper wird sich immer weiterentwickeln, mit ihm das Ich: man muss sie Umwelt dieser Entwicklung anpassen -> denn wenn man zulässt, dass sie Umwelt einen nach ihren Bedürfnissen zurechtstutzt, riskiert man eine dauerhafte Distanz des eigenen Körpers von seinen Bedürfnissen. Im Großen und Ganzen bedeutet Selbstverrat: Selbstvergiftung. Wenn wir unsere Bedürfnisse leugnen, sind wir dem Durstigen gleich, der eine Wasserflasche vor sich hat und sie nicht öffnet. Unser Körper, unser Gehirn ist viel komplizierter und hartnäckiger als die Herrschenden es wahrhaben wollen. Hinter jeder gehorsamen Schlafmütze steckt ein wildes Knäul Chaos, Zorn, Hass und Mord. Man kann nur ganz man selbst oder ganz ein anderer sein: in letztem Fall würde man nicht nur sein Gesicht, sondern auch seine inneren Organe verraten: eine Depression, ein Hirntumor, eine Bluttat - alles nur noch eine Frage der Zeit. - Alles was ich schreibe und denke, wird entweder Idee oder Instinkt. Da sich mein Bedürfnis, Ideen zu selektieren und zu ordnen, mit der Lust am Zurücklehnen, Ziehenlassen, Spielen lassen hat ablösen lassen, stehen alle Ideen auf einer Ebene: aus Mangel an Ehrfurcht vor jeder Art Idee hat keine Idee einen höhreren Stellenwert als die andere, mein Gedanken- und Gefühlswirrwar schwappt hin und her wie ein erotisch aufgeladener Junge in einer Badewanne. Hier kann nichts fest werden, hier sitzt keine Regierung oben, kein Kapitain. Die Instinkte verrichten die Bewegungen, das Bewusstsein nickt alles ab, denn die Bewegungen passen zu dem Wirrwarr, die Bewegungen veredeln die Gedanken, tanzend übergieße ich die schwappende Badewanne meines Bewusstseins mit Zuckerguss.


Ich weiß nicht, ob es sich lohnt, ein Buch zu schreiben. Ich muss so tun, als würde es sich lohnen. Jeder der glaubt, es würde sich etwas lohnen, tut bloß so, als würde es sich lohnen. Was kann man denn schon wissen? Dass es sich lohnt, zu atmen?

Ich habe eine 800-seitige Sammlung von Texten vor mir. Sowas kann keiner lesen. Es ist frech und einfach nur dumm, Leuten sowas auf den Tisch zu knallen. Eine lieblose Geste, trottelige Hilflosigkeit. Ich muss mich auf das Wesentliche konzentrieren, eine Ordnung reinbringen, alles noch straffen, kein Firlefanz mehr, keine Lyrik-Masturbationen, kein selbstgefälliges Gestotter gegen unsichtbare, ungreifbare Gegner. Keine Ideale mehr! Und kein Pathos!

Ich brauche unbedingt irgendwelche Reaktionen auf das, was ich schreibe. Ich habe mich viel zu lang isoliert und alles vielleicht viel zu weit getrieben. Ich möchte wieder Anschluss an die Welt finden. Hier wie überall sonst ist das lyrische Ich nicht mit dem Autor identisch; vieles ist ironisches Hoch- und Tiefstapeln, das auf Grund eines fehlenden stabilen Ichgefühls mehr Wert hat als irgendein Versuch, authentisch zu mir zu stehen: und ich werde nicht den Fehler machen, das (zu mir) Stehen als solches mit meinem Ich zu verwechseln. Einzelne Gefühle kann man anzweifeln, nicht aber das drückende Durcheinander aller Gefühle und Sinneseindrücke, die erniedrigende Banalität der eigenen Körperlichkeit, der man nur mit dem blanken, toten Wort etwas Würde, etwas Anmut, etwas Sinn abringen kann.

Ich versuche auf Schmuck und Süßungsmittel zu verzichten. Ich möchte nicht unterhalten, denn ich kann nicht unterhalten und will es also auch gar nicht versuchen. Alles was ich anzubieten habe ist meine Unruhe, meine Arroganz, meine Unfähigkeit in dieser Gesellschaft glücklich zu werden und meine Zuversicht bzw. meinen Größenwahn. Es wurden schon Literaturpreise für weniger vergeben. Und dass ich irgendwann Preise bekommen will, will ich nicht verschweigen.

Ich will gar nichts verschweigen. Totale Offenheit. Psychedelisches Selbstportrait. Vertiefung. Meditation. Oder einfach nur ein erbärmliches Zappeln. In jedem Fall ist dieses Buch nicht fest und sicher und unter jeder Oberfläche, hinter jeder Ecke, über jeder angeblichen Gewissheit, zwischen jeder festgerammelten Zeile könnte ein alles-entscheidender Anfall lauern, ein etwas-erlösendes Loch fluchen, ein Buchstaben-zerbröselndes Nichts drohen, eine Autor-entkoppelnde, entkrüppelnde Bombe ticken.

"Hör auf mit dem Finger drauf zu zeigen. Wir haben alle unser Leben zu leben. Deine Wirrheit, dein Ringen und Würgen ist ja manchmal putzig, aber Hilfe kannst du von uns nicht erwarten. Du bist allein? Und am Rand des Zusammenbruchs? Sei um Himmels Willen kein Jammerlappen. Wir leben nicht in einer Zeit, in der geschwätzige Jammerlappen unser Interesse, unsere Leidenschaft wecken dürfen."

Ich kann es ganz kurz machen (im Moment kann ich nicht abschätzen, ob eine extreme Kurzfassung Missverständnisse erzeugt oder vorbeugt, aber ich versuch es mal): alle Wörter in diesem Buch drehen sich um meinen Wunsch, eine erfolg- und einflussreiche Band zu haben und um eine unglückliche Verliebtheit. Wenn ich alles wirklich auf seine Essenz komprimieren soll, dann so. Natürlich kann ich es variieren: ich will mit einer Musikgruppe einschlagen und die Lippen von jemanden küssen... oder: ich möchte der deutschen Musiklandschaft ins Gesicht kacken und neben einen bestimmten Jungen einschlafen.... oder: ich möchte von Millionen anerkannt und von Einem geliebt werden... oder: ich möchte eine Bedeutung, die ich noch nicht habe.



Alle Wahrheit ist banal und langweilig, die Aufgabe der Kunst ist es, das Banale zu verschönern und die Lust zu sterben mit irgendetwas Anderem zu ersetzen: GANZ EGAL WAS. Der Gedanke, dass absolut ALLES ein Ersatz für den Tod sein kann, ist die Frohe Botschaft, ist der Stern, den ich in den Himmel über mir stecke, zum Trost, dass der Matrose, den ich hier darstelle, niemals mehr festes Land unter den Füßen haben wird.


So wie man einem Künstler nicht unterstellen kann, dass das, was er sagt, ernst gemeint ist bzw. dass es seine eigene Meinung ist, dürfen wir das anderen Leute auch nicht unterstellen! So wie der Künstler mit Gedanken, mit Inszenierungen, Stilen und Haltungen experimentiert, soll das auch jeder andere Mensch machen dürfen. So wie ein Musiker sich an verschiedenen Genre ausprobiert um herauszufinden, was ihm liegt, womit er am meisten Erfolg hat, und noch als professioneller, etablierter Musiker sich immer an neuen Dingen ausprobieren darf. Alles was man tut und von sich und der Welt hält, ist erstmal nicht mehr als ein Test - und vielleicht nie mehr als nur ein Test.