Die Säure

Da ich diese Stadt erstmal nicht loswerde, gewöhne ich mich besser an sie, also wache ich 8Uhr morgens auf, trinke einen mit Honig gesüßten und mit Vanille-Sojamilch verfeinerten Mate-Ingwer-Tee, höre die furchtbaren Nachrichten im Radio und lasse 200 Mikrogramm 1p-LSD unter meiner Zunge zergehen und stürze mich in die brüllende Morgenmaschine der Innenstadt, die bestens in Schuss gehalten wird von genervten, pflichtbewussten Menschen, lieblosen, sauberen Arbeitern, die genau wissen was sie träumen dürfen und was nicht, eine dreckige, gereizte Stadt, die Kinder und Pflanzen und Tiere in der Mangel hat. Die Menschen tun, was man von ihnen verlangt und langweilen sich mit dem bisschen Freiheit, das man ihnen dann und wann gönnt. Die Brutalität, mit der sie sich darüber hinwegtrösten, Opfer dieser Stadt zu sein, steckt auch im flimmernden Himmelgrau und dem atmenden Bordstein.  Jeden Morgen aufs Neue werden die Menschen auf den Straßen im Stich gelassen und fette, hässliche, ungebildete Mütter meinen es mit dürren, schönen, wilden Kindern aufnehmen zu können und der kleine Scheißer dort drüben ist schon fett und dumm gemacht worden und versucht mit einer trashigen Sonnenbrille und einem coolen Gang etwas Selbstbewusstsein zu ergaunern und wenn ihn keiner aufhält, wird er genau so ein peinlicher Gartenzwerg wie mein dummer Bruder oder Vater.

Die Hofmann-Säure beißt richtig zu, als ich genau 9Uhr am Anger ankomme und Julian treffe, den ich seit Jahren nicht mehr gesehen habe. Er war der erste Mensch, in den ich mich verliebt hab, als ich vor neun Jahren in diese Stadt gezogen bin, um irgendetwas zu studieren. Er hat jetzt zwei Kinder und ist Grundschullehrer im Eichsfeld. Was für ein lieber, heißer, cooler Junge, ich wünsche ihm alles Gute: "Du hast die Pflicht, vor Glück zu verblöden, wenn du akzeptiert hast, dass dich die Stadt nicht mehr loslässt und dich vom Leben enttäuschte, von der Arbeit abgestumpfte Säufer totprügeln wollen, weil du glücklicher aussiehst als sie, weil du mehr vor haben musst, wenn du erkennst, dass man hier keine Freundschaften schließen kann, wo frustrierte, gelangweilte Ostdeutsche aufeinanderhocken und sich von der grauen Straßenlärmmaschine und bösartigen Behörden und brutalen Arbeitskollegen und verständnislosen Verwandten unterkriegen lassen, wo jeder versucht, aufrechten Hauptes zu gehen, wo jeder Plastiktüten und Zigaretten kauft, wo jeder sein Auto mehr pflegt als seinen Musikgeschmack und Eingeweide ziehen sich zusammen und brüllen blaue, scharfe Fürze in die pinke Jogginghose, deren Träger auf die Bierflasche schaut, die vor ihm steht und ich gleite ab in das helle, unendliche Loch, das der Sommer in die Stadt gelegt hat wie einen braunen Teppich aus Wolle."

Die Stadt ist ein Ort an dem viele Menschen aneinander vorbeigehen und die Straßenbahnen stoßen mir zu wie die Kontrolleure und die aufgeweckten Kinder und die von Smartphones ausgebleichten Eltern. Es lohnt sich auf jeden Fall cool zu sein und einen Jungen zu finden, mit dem man entspannt den Nachmittag verbringen kann, der weiß wie wunderschön und unwissend er ist, ich will, dass alles nach seinen Wünschen verläuft, ich liebe seine offenen, gierigen, liebenden Augen, meine Liebe ist eine haarige Vogelspinne auf seinem Schreibtisch, die er füttert mit Pizzaresten und Delysid. Ich spreche all meinen Zauber, den ich aufgespart habe wie lachendes Obst unter leerem, weißen Himmel, ich spreche all meinen Zauber über die Stadt.

Sauber eingepackte Menschen wollen unauffällig sein, mir nix dir nix an mir vorbei, die Straßenbahn hätte beinah einen kleinen Jungen erwischt, mehr passiert hier nicht, die fetten Alkis erklären ihren dummen Weibern die Welt, die Kassiererin will keine Zwischenfälle dulden und ich muss lachen über die vielen Leute, die alle cool sein wollen, die versuchen mit kalter, sauber eingepackter Würde das Kreuz zu tragen, dass ihnen diese graue, brutale, langweilige Stadt ist. Erfurt stinkt nach Tabak, Bier und Pisse, Erfurt klemmt im Schraubstock meines morgenfrischen Bewusstseins, Erfurt fühlt sich langsam beobachtet und die Syrer und Afghanen und Eritreer sitzen wie selbstverständlich auf dem Anger und versuchen erstmal ein bisschen durchzuatmen und ich würde alles tun, um ihnen die biestigen, lieblosen Deutschen vom Hals zu halten. es wäre toll wenn es coole, psychedelische, multikulturelle Volksmusik gäbe, vielschichtige, volle Songs, wilde, manische Sänger und Schauspieler, alle angeschlossen an den Hauptstrom, ein euphorisch schwitzendes Zittern, solang bis die unverbesserlichen, alten, garstigen Deutschen ausgestorben sind. Der Gestank der Autos und die Discountfrische in den Straßen, die langsamen, beschäftigten Automaten der großen, dunklen Pflicht. keiner der verlangt, dass du hier zurecht kommst, kann dein Freund sein und die Wut der Straßenbahnen und die Wut der zurückgebliebenen Männer und die Wut ihrer ängstlichen Weiber und ich hab Lust die Plattensammlung meines cholerischen, versoffenen Vaters zu verbrennen, ich hoffe ich werde niemals müde, meiner Lust Würde zusammenzustehlen aus billigen Mutproben in der Mitte der Kreuzung. immer wenn ich mit psychedelischen Substanzen die Fassung verlieren will, holt sich Europa einen runter. Ich verfluche Erfurt, ich stolziere bei Grün über die Ampel und kaufe mir einen Kaffee und ist die Stadt wirklich schon immer so stickig und lieblos und dreckig gewesen? Sind die Menschen wirklich so weit entfernt? Ich kann meinen Frieden nicht mit dieser Stadt machen, ich hab Lust in ihre Wunden zu stechen und mich rund und glücklich zu saufen an ihrem Leid, an ihren guten Gründen für ihr Weiterso, ich hab Lust ganz auf das Dach hochzusteigen, so dass mich keiner sieht und die Stadt verfluchen, ich wünsche all ihren Bewohnern ein reinigendes Unwetter.

Ich fühle mich erleuchtet von allem, was ich mir bisher erspart habe und auf dem Gemüse-Lieferwagen ist ein älterer Herr vom Typ CDU-Ortsteilbürgermeister abgebildet, der fröhlich einen Rettich reitet wie ein Kind auf dem Karussell. Wie kann man sich dafür nur hergeben? Wie kann man glauben damit das Geschäft anzuregen? 

Am Stärksten spüre ich mich, wenn ich alle Worte hinter mir lassen will mit einem fröhlichen Gebrüll und die Dinge nicht mehr beschreibe, sondern beschwöre, eingebunden in die Weltöffentlichkeit, zitternd vor Ohnmacht in einem gleißenden Foyer der Möglichkeiten, jeder Gegenstand wird vollkommen, wenn er einer Tollpatschigkeit zum Opfer fällt. Ich segne mein Fleisch mit meinem Fehlverhalten im Straßenverkehr, spüre die Dringlichkeit des Lebens, ich wachse wie ein graugrün schimmernder, pelziger Film auf dem Schmutz, den ihr nach draußen kehrt, sobald es um Leben und Tod geht. Ich muss mich jeden Tag aufs Neue verlieren, um mein Leben und Werk zusammenzubringen. Ich schüttel ein euphorisches, bellendes Nichts aus mir heraus, ich reite meine Unfähigkeit, mich dezent hinzusetzen und der Show zuzusehen, und stürze die Treppen runter, ich schubse und werde geschubst, nach vorwärts, dort wo ich verpackt und ausgeliefert werde. Ich bin vollständig aus dem Zusammenhang gerissen und hänge am Gürtel der Kellnerin, die noch mit irgendwem telefoniert, ich glaube mir selbst nicht mehr, ich setz mir die Knarre an die Schläfe: das ist der erste Fall seit oh so vielen Jahren, du kannst mich dort drüben in die Ecke stellen, hier versteht man meine Späße nicht, hier sitzt jeder in einem anderen Film und es gibt keine zentrale Perspektive. Unglaublich, dass auch ich mit Augen bestückt bin, ausgeliefert den Unberechenbarkeiten dieser Stadt, die als Begriff keine Bedeutung mehr hat und als endlose Aneinanderreihung eines wüsten Universums endet noch vor den 20-Uhr-Nachrichten. Ich bin definitiv wo falsch abgebogen, könnte man denken, wenn man nicht wüsste, dass ich keine Alternative habe und den Sonntag von allen Klarheiten befreie.

Die Leute brauchen einen Ort, wo sie sich nicht mehr gezwungen fühlen, selbstbewusst zu tun, wo sie schwitzen und über alles jammern können, denn auch ich schwitze und jammere den ganzen Tag und bin glücklich: ich bin eine Maschine aus Knochen und Schweiß, ich suche Aufgaben die es zu erledigen gibt, aber sehe niemanden der meine Hilfe gebrauchen kann. Ich bin der schiefe Onkel, den man im Supermarkt beobachtet: gleich stolpert er über die Bananenstiege, gleich stößt er sich den Kopf an, gleich rennt ihm die Alte in die Seite. Jeder braucht einen Ort, an dem er entspannen kann, an dem keine Türen knallen, keine Menschen husten, keine Autos herumbrüllen, ein Ort an dem man von aller Welt in Ruhe gelassen wird. 

Ein Syrer singt auf dem Bahnhofsplatz ein großartiges Lied aus seiner Heimat, ich setze mich zu ihm und wir kommen ins Gespräch, er kann überraschend gut deutsch und übersetzt mir den Text des Liedes: "Ich muss mich so gut es geht beschützen vor dem, was aus mir werden soll, zumindest wenn es nach denen gehen soll, die trübe, traurige, alte Augen und Ohren haben, nicht meine Augen und Ohren und nicht meine Seele."

Ich spüre ein wildes Dschungelkind in mir, ich spüre eine natürliche, tropische Coolness in mir, Der Staat ist eine gähnende Maschine der Güte, ich drehe ein paar ihrer Schrauben locker und verziehe mich auf den Petersberg, stelle mir eine das Stadtleben nachhaltig verändernde Katastrophe vor, fühle mich wie ein Kind das versucht im Unterricht sein Lachen zu unterdrücken. Die Kinder müssen sich abreagieren, lernen etwas mit ihrer Kraft anzufangen, sie müssen für sich sein, müssen sich einschließen können, sich viele viele viele Jahre Zeit lassen, müssen stolpern und irrelaufen wollen, ihre Lebensgier wie Spasmen ertragen, sich verbinden und sich alles rausnehmen was sie wollen.

Der weiche, entspannende Wahnsinn des Nichtstuns, die fröhlich hustende Kakerlake, der pünktlich 18 Uhr zur Ruhe kommende Bagger der an der Krämerbrücke, Menschen versuchen etwas mit ihrer Freizeit anzufangen, ich will mich niemals an ihre Unbeholfenheit gewöhnen und frage mich, ob ich der Einzige bin der 16jährigen Skatern auf den Arsch schaut und habe Lust noch einen Liter Eiskaffee zu trinken und die Erfurter für ihre Genügsamkeit anzubrüllen und wenn es stimmt, dass man die Seele einer Stadt an ihrem Umgang mit Fahrradfahrern erkennt, dann hat Erfurt an Stelle einer Seele eine raue, graue Klopapierrolle.

Der Gedanke, dass du nicht verrückt werden kannst, weil es dich gar nicht gibt, ist ein Schraubenzieher, auf den du nicht verzichten solltest, wenn du dich darüber ärgerst, dass die Leute im Kleinen Venedig so viel Lärm und Schmutz machen.

"Wir kommen gut ohne dich zurecht!", ruft der Körper hinterher, wenn die Seele sich zusammenballt und wie ein Partybus die Böschung abstürzt. Böschung und Absturz gehören seit Anbeginn zusammen. Ist das Leben etwas Ernstes oder ist es ein Spaß? Will hier grad jemand durch? Ich liebe es im Weg rumzustehen, ich liebe es Leute wütend zu machen, ich liebe es zu sehen, wie Leute ihre Aggressionen mir gegenüber unterdrücken. 

So viele stecken etwas in mich rein und noch viel mehr wollen etwas aus mir rausziehen.  

Gott ist erst allmächtig, wenn er meine Perspektive einnehmen und an der Supermarktkasse zusammenbrechen kann.

Lass dich nie beurteilen von Leuten, die mit ihrem Leben unzufrieden sind oder die noch stolz sind auf das, was sie alles erduldet haben.

Zum Schluss möchte ich ganz deutlich sein: Ich möchte kein Sultan werden und kein Taxifahrer werden, ich möchte niemanden hinrichten und nicht hingerichtet werden.  Ich möchte einfach nur einen Humuswrap und nach Hause fahren, mich in den Garten legen und den Himmel beobachten, wie er immer dunkler wird und ich immer nüchterner.

Alle Menschen werden berühmt, wenn ich mich vergesse.