Die Unterhaltungsindustrie

Stellt euch die Welt ohne Unterhaltungsindustrie vor: was für eine traurige Welt; spricht das gegen die Unterhaltungsindustrie oder gegen die Welt? Ein Alltag ohne Internet, ohne Fernseher, ohne Radio, ohne Musik, ohne Fiktion, ohne Phantasie - allumfassende Trostlosigkeit, großartig: das Super-Entertainment, das keine Wünsche offen lässt. Je länger ich über Ostdeutschland nachdenke, desto mehr glaube ich, dass die Unterhaltungsindustrie einen hohen Anteil daran hat, dass die Menschen fälschlicherweise glauben, kurzfristig mit ihren Depressionen zurechtzukommen, Depressionen, die unvermeidbar sind, wenn man sich einen etwas genaueren Überblick über die katastrophalen Zustände der Welt und die eigene Schwäche und Bedeutungslosigkeit gemacht hat.
Die Abschaffung der Unterhaltungsindustrie würde die Menschen die Entscheidung aufzwingen, ob sie sich den Problemen stellen oder zugrunde gehen wollen. Viele werden zu Grunde gehen wollen und man sollte sie nicht aufhalten.
Wenn die alte Welt beseitigt ist, verhandeln wir mit allen Übriggebliebenen alles neu aus: universelle Werte, universelle Institutionen: die Welt als harmonischer Wohnpark; das Böse bekommt ein eigenes Universum am Rand der Welt, denn wenn man den Himmel auf Erden installiert, muss man auch die Hölle auf Erden installieren. Beide Welten müssen scharf voneinander getrennt werden, zum Wohle des Großen und Ganzen!
Die Abschaffung der Unterhaltungsindustrie ist der Schrecken, mit dem wir euch empfänglich machen wollen für unsere Utopien. Einer der vielen, schweren Fehler im System der DDR war, dass sie so spießig war und eine "real"sozialistische Leitkultur aufoktroyierte, statt mit Künstlern und Religionsgemeinschaften und Journalisten und Arbeitern und Bauern einen pluralistischen, weltoffenen, selbstkritischen Sozialismus zu begründen und immer wieder neu zu verhandeln. Das Problem des Sozialismus als solchen ist zum einen, dass er bisher noch nicht funktioniert hat und zum anderen, dass kaum jemand Mut hat, sich zu einer sozialistischen Gesellschaft zu bekennen. Man gewinnt keine Wählerstimmen, wenn man die Welt grundlegend verändern will. Die Kunst kann die Menschen inspirieren, Widerstand zu leisten und sich die Welt als grundlegend gestaltbar zu denken. Die Unterhaltungsindustrie hat andere Interessen und muss deshalb abgeschafft werden.
Aber danke Spotify, für die großartigen Empfehlungen, die auf meinem Musikgeschmack beruhen, die Empfehlungen werden immer genauer, je öfter ich über Spotify Lieder streame für pervers unfaire 10 Euro im Monat. Das Geld, das die Künstler darüber verdienen können, ist lächerlich wenig, willkommen in der Zukunft, willkommen in der Digitalisierung. Für mich als nimmersatten Konsumenten hat es nur Vorteile, und was den Nimmersatten Vorteile beschert, ist den Fabrikbesitzern Befehl. Selbst wenn ich über 2000 Euro im Monat verdienen würde, hätte ich nicht genug Geld, um all die tollen Alben zu kaufen, die auf dem Markt sind. Auch ich als Musiker muss damit leben können, wenn mich tausendmal mehr Leute hören als mich direkt finanziell unterstützen. Früher oder später sollten die Sozialsysteme so gemütlich sein, dass die Musiker sich keinem Markt mehr unterwerfen, sich von keiner Mode mehr verziehen lassen müssen; vielleicht sind in Zukunft Superstars vorstellbar, die ein monatliches Einkommen in Höhe der Grundsicherung von knapp 500 Euro plus Miete nicht überschreiten, die auch nicht mit Konzerten viel Geld verdienen, weil sie Touren ohne Management und Plattenfirma im Hintergrund selbst buchen und das ganze Risiko tragen, freudestrahlend, schmerzerfüllt, heißhungrig. Danke Spotify, dass du mit deinen üblen Methoden die Plattenfirmen zerschlagen hast, danke, dass du allen so unverschämt einfach einen Großteil aller jemals veröffentlichter Musik zugänglich machst, danke, dass du auf Kosten ganzer Musikerexistenzen meinen Musikgeschmack erweiterst, meine eigene künstlerische Arbeit beeinflusst und damit mein ganzes Selbst.
Und danke Youtube für meinen tollen Musikvideo-Geschmack und dass ich an deinen Brüsten die dunkle Milch meiner Mitternachtsverwirrungen saugen kann, danke Youtube, dass du mit deinen Algorithmen meine Sehnsucht inspirierst, wenn in guten Zeiten, schlechten Zeiten mein Schicksal zerrrrrrinnt.





Wunschlos ins Unglück

Die Welt ohne Popmusik wäre trauriger.
Spricht das gegen die Popmusik oder die Welt?
Die Trostlosigkeit wird grandios und allumfassend sein,
wenn wir euch mit der Schere den Saft abschneiden.

In Erfurt mündet die Rosa-Luxemburg-Straße
in die Schlachthofstraße.
Wer den Himmel auf Erden installieren will
muss auch die Hölle wollen,
sagt ein Mann ohne Beine.

Wer braucht Popmusik?
Ein schönes Lied entzündet nichts.

Die Popmusik verlangt von dir
deine Schwäche und Bedeutungslosigkeit zu ignorieren.
Sie will, dass du dich groß fühlst.
Du bist was ganz Besonderes.

Ich und meine Freunde sind zu groß für dich.
Was machst du ohne Internet?
Ohne Internet kann man zielgenauer depressiv sein.
In jeder Depression steckt eine Utopie.
Du wirst sie finden.

Du brauchst Popmusik!
Denn ein schönes Lied entzündet nichts.